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Sehnsucht FC Bayern

Sehnsucht FC Bayern

Titel: Sehnsucht FC Bayern
Autoren: Armin Radtke
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Straßenkicker-Torwart zum Bayern-Fan geworden war, hatte seine Karriere in der Sommerpause nach einem Autounfall beenden müssen und war gar nicht mehr im Kader. Merkwürdigerweise haben sich mir ansonsten unter anderem die mehrfachen Sprints des Mannschaftsarztes Dr. Müller-Wohlfahrt eingeprägt, wie er mit wehender Mähne und flatterndem Bundeswehr-Parka mit Magirus-Deutz-Beflockung über den Platz flitzte. Ein Bild, an dem sich bis zuletzt eigentlich kaum etwas geändert hat. Die Frisur war jedenfalls immer noch die gleiche. Ein Phänomen.
    Ach ja, gewonnen wurde auch. Das Spiel endete 3:1. Aber das war für mich völlig nebensächlich. Ich hatte noch einige Stunden genug damit zu tun, die neuen Erfahrungen geistig zu sortieren. 25 Jahre später, fast auf die Woche genau, war ich noch einmal in diesem Stadion. Es fand kein Spiel statt. Das stattliche Rund hatte ich ganz für mich alleine und ließ das letzte Vierteljahrhundert als Bayern-Fan Revue passieren. Ich mag solche Momente. Dieser hier dauerte einige Zeit …
    Für mich brachte der Nachmittag jedenfalls einen entscheidenden Erkenntniszuwachs. Zum einen hatte mich das Treiben derart fasziniert, dass ich Lust auf mehr bekam. Zum anderen wurde mir deutlich, dass ich mich nun endlich für einen Verein entscheiden musste. Die Koexistenz eines zweiten Lieblingsvereins, für den man sich fast genauso freut und mit dem man ansatzweise leidet, war endgültig vorbei. Ein Platz, den bis dahin immer noch Borussia Mönchengladbach einnahm. Das angegraute T-Shirt wurde jedenfalls nun – und das hat nichts mit der Borussia als Verein zu tun – zum Putzlappen für das Fahrrad umfunktioniert. Von nun an hatte die FC Bayern-Schirmmütze ihren alleinigen Platz im Schrank. »Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.« So steht es schon in den Zehn Geboten. Als Spross eines christlich geprägten Beamtenhaushaltes, in dem Fußball überhaupt keine Rolle spielte, war mir der Satz recht geläufig. Jedenfalls wesentlich geläufiger als der Modus im DFB-Pokal. Das änderte sich jedoch schlagartig, als die Bayern bald darauf in der dritten Runde, bei der SpVgg Bayreuth, aus dem Wettbewerb flogen.
    Die Initialzündung für eine bis heute anhaltende Fankarriere war jedenfalls gestartet. Welch geradezu exzessive Auswüchse das noch nehmen würde, war ja noch nicht einmal in Ansätzen absehbar. Ich glaube, dass mein Vater, gelinde gesagt, diesen Spielbesuch nachträglich des Öfteren äußerst kritisch hinterfragt hat. Für den Moment war er jedenfalls recht happy, dass er mir als Vater am Wochenende eine wahre Attraktion bieten konnte. Und wenn Vater und Sohn auf diese Weise Zeit miteinander verbringen, ist das nun wirklich nicht das Schlechteste.
    Wie praktisch war es da doch, dass sich recht bald ein Auswärtsspiel in Leverkusen, unserem aktuellen Wohnort, anschloss. Bayer 04 war im Sommer in die 1. Bundesliga aufgestiegen. Viele Klassenkameraden entdeckten den Verein für sich, und ich räume ein, vor meinem ersten Bayern-Spiel auch kurzzeitig mit den Rot-Schwarzen geliebäugelt zu haben. Jetzt aber, als Kontrahent in einer Liga, das ging nun wirklich nicht. Eigentlich sind mir die Fanfreundschaften zwischen Vereinen bis heute etwas suspekt und doch wohl eher auf persönliche Keimzellen zurückzuführen. Wenn ich mit jemandem befreundet bin, da freue ich mich doch nicht, wenn ich ihn zweimal im Jahr besiege. Man kann natürlich auch eine andere Haltung einnehmen, ich weiß. Gerade in den achtziger Jahren, wo sich Rivalitäten zwischen den Fanlagern noch deutlich häufiger in Gewalt entluden, war es durchaus angenehm, bei wenigstens zwei Spielen ungestraft den eigenen Schal tragen zu können. Und einige wenige Fanfreundschaften, wie beispielsweise die zwischen Schalke und Nürnberg, verdienen durchaus Respekt. Dennoch erinnert mich die geradezu inflationäre Freundschaftssuche an die vielen Städtepartnerschaften, die damals auch schwer in Mode waren und heute nur noch eine Minderheit begeistern.
    Der Besuch des zweiten Bayern-Spiels in Leverkusen brachte mir die Materie »Stadionbesuch« einen entscheidenden Schritt näher. Ich verstand doch um einiges mehr als noch vier Monate zuvor. Das galt auch für das Ergebnis, welches ich mit einem 1:0-Sieg der Werkself persönlich, nun ja, als unvorteilhaft empfand. Letztlich war jedoch dieses nicht ausverkaufte Spiel, mit seinen 20.000 Zuschauern, nur der emotionale Durchlauferhitzer für den vorläufigen Höhepunkt – der
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