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Seherin von Kell

Seherin von Kell

Titel: Seherin von Kell
Autoren: David Eddings
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sich gischtend durch felsiges Gefälle den Flüssen auf den Ebenen von Darshiva und Gandahar entgegenstürzte, rauschte unentwegt in ihren Ohren. Dieses Brausen der Wildbäche, die sich viele Meilen entfernt mit dem mächtigen Magan vereinen würden, wurde vom sanften, fast schwermütigen Seufzen des Windes begleitet, der durch die Tannen und Fichten und Kiefern der tiefgrün bewaldeten Berghänge strich; Berge, die sich voller Sehnsucht dem Himmel entgegenreckten. Der Karawanenweg, dem Garion und seine Freunde folgten, führte in immer größere Höhen, schlängelte sich an Bächen entlang und wand sich zu felsigen Gra-ten empor. Von einem Kamm aus konnten sie den nächsten sehen und hoch über allem erstreckten sich als Rückgrat des Kontinents Gipfel, die schier den Himmel streiften, unberührte Gipfel von makelloser Reinheit in ihrem Gewand aus ewigem Firn. Garion war mit Gebirgen vertraut, doch so gewaltige Gipfel hatte er noch nie zuvor gesehen. Er wußte, daß sie viele Meilen entfernt waren, doch in der klaren Bergluft schienen sie zum Greifen nahe zu sein.
    Unendlicher Friede herrschte hier, ein Friede, der alle Unruhe und Ängste vertrieb, die sie auf den Ebenen gequält hatten, ja sie sogar Sorgen vergessen ließ. Jede Kurve des Weges, jeder Kamm bescherte ihnen neue Aussicht, und eine war atemberaubender als die andere, bis sie schließlich in ehrfürchtigem Schweigen dahinritten. Men-schenwerk schrumpfte hier zur Bedeutungslosigkeit. Der Mensch würde nie, konnte nie diese ewigen Berge berühren.
    Es war Sommer, und die Tage waren länger und sonnig. Vögel sangen auf den Bäumen neben dem schlängelnden Pfad, und der Duft der sonnenwarmen Nadelbäume vermischte sich mit dem
    flüchtigeren der Wildblumen, die dicht wie ein Teppich die Berg-wiesen überzogen. Dann und wann hallte der wilde, schrille Ruf eines Adlers von den Felswänden wider. »Hast du je daran gedacht, deine Hauptstadt zu verlegen?« fragte Garion den Kaiser von Mallorea, der neben ihm ritt, mit gedämpfter Stimme; lauter zu sprechen wäre hier eine Entweihung gewesen.
    »Nein, nicht ernsthaft, Garion«, erwiderte Zakath. »Meine Regierung würde hier nicht funktionieren. Die Bürokratie ist zum größten Teil melcenisch. Man könnte meinen, daß Melcener reine Verstan-desmenschen sind, doch der Schein trügt. Ich fürchte, meine Beamten würden hier die Hälfte ihrer Zeit damit verbringen, die Aussicht zu bewundern, und die andere Hälfte damit, schwülstige Gedichte zu schreiben. Zum Arbeiten käme keiner. Außerdem kannst du dir gar nicht vorstellen, wie es hier im Winter aussieht.«
    »Schnee?«
    Zakath nickte. »Die Leute hier messen ihn nicht in Zoll, sondern in Fuß.«
    »Gibt es hier überhaupt Menschen? Ich habe noch keine gesehen.«
    »Ein paar – Trapper, Goldsucher und ihresgleichen.« Zakath lä-
    chelte. »Das ist jedoch nur eine Ausrede, glaube ich. Manche Menschen lieben eben die Einsamkeit.«
    »Da sind sie hier genau richtig.«
    Der Kaiser von Mallorea hatte sich verändert, seit sie Atescas Fort am Ufer des Magan verlassen hatten. Er war jetzt magerer, und die Leblosigkeit war aus seinen Augen geschwunden. Wie Garion und die übrigen ritt er wachsam, mit offenen Augen und gespitzten Ohren. Doch es war nicht so sehr seine äußere Erscheinung, die diese Veränderung ausdrückte. Zakath war immer nachdenklicher, ja schwermütiger Natur gewesen, häufig von schwärzestem Trübsinn gequält und doch gleichzeitig von kaltem Ehrgeiz erfüllt. Garion hatte oft das Gefühl gehabt, daß dieser Ehrgeiz des Malloreaners und sein Machthunger nicht so sehr ein unbeherrschbarer Drang war, sondern eher eine Art ständiger Selbsterprobung, und daß es vielleicht unbewußt durch den Wunsch verursacht wurde, sich selbst zu zerstören. Es hatte wahrhaftig beinahe so ausgesehen, als hätte Zakath sich und alles, was sein Reich zu geben hatte, in unbegreifliche Kriege gestürzt, nur in der heimlichen Hoffnung, daß er einmal auf jemanden stoßen würde, der stark genug war, ihn zu töten, und ihn dadurch von der Last eines Lebens befreite, das schier unerträglich für ihn war.
    Doch das war jetzt durchaus nicht mehr der Fall. Seine Begegnung mit Cyradis am Magan hatte ihn für alle Zeit verändert. Eine Welt, die bisher immer schal für ihn gewesen, war nun von wundervollem Reiz für ihn. Garion vermeinte manchmal sogar eine Spur Hoffnung im Gesicht seines Freundes zu lesen, und Hoffnung war etwas, dem Zakath sich nie hingegeben
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