Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seeteufel

Seeteufel

Titel: Seeteufel
Autoren: Manfred Megerle
Vom Netzwerk:
durcheinandergeraten. Längst hatte es vom nahen Münster halb zehn geschlagen, als er endlich vor der Polizeidirektion eintraf. Auf der Rückseite des futuristisch anmutenden Neubaus, von den Überlingern wegen seiner Glasfassade nur »Aquarium« genannt, kettete er sein Fahrrad an einen Laternenpfahl, betrat das Gebäude durch den Hintereingang und machte sich an den Aufstieg in die zweite Etage. Da kannte er kein Pardon: Eher würde er auf jedem Treppenabsatz eine Pause einlegen, als einen der Aufzüge zu benutzen. Sollte er die Treppe einmal nicht mehr schaffen – ja, spätestens dann war endgültig Schluss mit der gottverdammten Raucherei, das hatte er sich geschworen.
    Oben angekommen, steuerte er zunächst sein Büro an, bis ihm einfiel, dass er Jo um eine Tasse Kaffee angehen könnte. Das wäre dann die dritte an diesem Morgen, rechnete er nach und nahm sich zum wiederholten Mal vor, seinen Kaffeekonsum einzuschränken – demnächst!
    Â»Wo ist Hanno?«, fragte er Jo und schielte nach der Kaffeemaschine. Wortlos schenkte sie eine Tasse voll, gab einige Tropfen Milch dazu und stellte das dampfende Getränk vor ihm ab.
    Â»Der hat sich entschuldigt, musste zum Arzt«, informierte sie ihn.
    Wolf verzog das Gesicht. Hans-Norbert Vögelein, als Kommissaranwärter vor knapp fünf Monaten direkt von der Polizeischule zu ihnen gekommen, war zweifellos ein hoffnungsvoller Kriminalist, gleichzeitig aber auch ein hoffnungsloser Hypochonder. Ständig rannte er in den abenteuerlichsten Verkleidungen herum, um nur ja keinen Quadratzentimeter Haut ungeschützt der Luft auszusetzen. Nie wurde er mit einem anderen Lesestoff als mit medizinischer Literatur gesehen. Böse Zungen behaupteten sogar, er kenne sämtliche Arztpraxen und Kliniken im Umkreis von vierzig Kilometern in- und auswendig.
    Gravierender allerdings war ein anderer Punkt: Mehr als einmal schon hatten sie bei einem wichtigen Einsatz auf Vögelein verzichten müssen, weil aus heiterem Himmel irgendeine angeblich überlebenswichtige Behandlung anstand. Andere Dezernate hatten einspringen müssen, was nicht selten zu Verdruss bei den Kollegen führte. Selbst heute, nach monatelanger Zusammenarbeit, hätte Wolf nicht zu sagen vermocht, welche Rolle Vögelein besser spielte: den wunderlichen Hypochonder oder den fähigen Kriminalisten.
    Knurrend balancierte er die randvolle Tasse durch die Verbindungstür in sein Büro, nicht ohne Jo vorher anzuweisen, sofort nach Hannos Eintreffen mit diesem bei ihm aufzukreuzen.
    Nach dem ersten Schluck Kaffee steckte er sich erneut eine Zigarette an. Nachdenklich stellte er sich ans offene Fenster und paffte vor sich hin. Die beiden Toten in dem Ruderboot machten ihm mehr zu schaffen, als ihm lieb war. Unklar war vor allem eines: Wie hatten sie in der Nacht die Entfernung vom Liegeplatz des Bootes bis zur Birnau geschafft? Immerhin handelte es sich um stattliche fünf Kilometer, für zwei untrainierte ältere Männer eine kaum zu bewältigende Strecke, noch dazu im Suff, worauf die leeren Fuselflaschen in dem Boot schließen ließen. Wenn sie aber nicht mit eigener Kraft dorthin gelangt waren, wie dann?
    Während Wolf noch nach einer Erklärung suchte, klopfte es an der Tür. Es war Jo.
    Â»Du kommst allein? Ist Hanno noch nicht zurück?«
    Â»Ach der! Tourt heute mal wieder von Praxis zu Praxis – auf der Suche nach einem Doktor, der ihn ernst nimmt.«
    Wolf konnte ihren galligen Vorwurf durchaus verstehen. Er schätzte an seiner hübschen, schwarzlockigen Kollegin nicht nur das südländische Temperament, sondern auch und vor allem die Beharrlichkeit, mit der sie – anders als Hanno – sich selbst in aussichtslose Fälle verbiss. Joanna Louredo, wie sie mit vollem Namen hieß, war vor Jahren mit ihren Eltern aus Portugal nach Deutschland gekommen. Als es die Eltern, vom Heimweh gepackt, wieder in die alte Heimat gezogen hatte, war sie hiergeblieben, hatte die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt und sich einen Herzenswunsch erfüllt, indem sie die Polizeischule in Freiburg absolvierte – mit Bravour! Als frischgebackene Kriminalhauptmeisterin und Kommissaranwärterin war sie vor knapp einem Jahr nach Überlingen gekommen.
    Â»Der Kerl ist gesünder als wir alle zusammen!«, winkte Wolf ab. »Na gut, fangen wir eben ohne ihn an.« Ausführlich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher