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Seerache

Seerache

Titel: Seerache
Autoren: Manfred Megerle
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so lange?
    Mit ein paar schnellen, weit ausholenden Schritten gelangte Wolf zur nächsten Ecke.
    Da sah er ihn.
    Mitten auf einer nach Süden ausgerichteten Terrasse mit prächtigem Blick auf den See saß Grabert auf einem Liegestuhl, allein, mit gesenktem Kopf, in der Hand eine Flasche, die er in kurzen Abständen an die Lippen setzte; der Inhalt sah verdächtig nach Whiskey aus. Seine Ohren waren unter groß dimensionierten Kopfhörern versteckt, und obgleich Wolf noch immer ein gutes Dutzend Schritte von Grabert trennte, drang das mächtige Brausen einer Orgel bis zu ihm herüber. Wolf kannte das Stück, und er liebte es: die »Toccata« in d-Moll von Bach. Es hier und jetzt zu hören, hätte er allerdings zuletzt erwartet.
    Komisch. Hatte Grabert nicht vor kaum einer Stunde noch vehement darauf bestanden, die beiden Entsprungenen höchstselbst wieder zurückzuholen? Und nun? Wenn Wolf es richtig erkannte, hatte er sich noch nicht einmal umgezogen. Sah so »sein Ding« aus, das er großmundig durchziehen wollte?
    Oder hatte er gar – so ungeheuerlich das auch klang – mit Sam und Luca gemeinsame Sache gemacht?
    Er musste sich Gewissheit verschaffen.
    Noch einmal suchte er mit den Augen die Umgebung ab, doch da war weiter nichts, was seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Er verließ seine Deckung, marschierte auf direktem Weg zu der Terrasse hinüber und stellte sich vor Grabert hin.
    Im letzten Augenblick erst hob Grabert den Kopf. »Ach, Sie sind’s, Wolf«, meinte er teilnahmslos. Er nahm die Kopfhörer ab und stellte die Musik leiser. Erneut setzte er die Flasche an die Lippen und nahm einen Schluck. Wolf fand seine Vermutung bestätigt: Es war Whiskey, auf dem Etikett stand »Jim Beam«.
    »Ja, ich bin’s«, sagte Wolf. »Sind Sie gar nicht verwundert?«
    Graberts Brust entrang sich ein Seufzer. »Ich bitte Sie, Wolf … was soll  mich  noch wundern?«
    »Wollten Sie sich nicht auf die Suche nach Bullock und Maroni machen?«
    Erneut nahm Grabert einen Schluck aus der Flasche. Als er sie absetzte, musste er rülpsen. Mit Grabesstimme antwortete er: »›Wir sind nichts. Was wir suchen, ist alles.‹ – Kennen Sie das? Stammt von Hölderlin.«
    Ohne Vorankündigung warf er die Flasche über die Schulter, beim Aufprall auf die Steinplatten zersprang sie in tausend Scherben.
    In diesem Augenblick tauchte Jo in Wolfs Sichtfeld auf, sie wirkte gehetzt. »Chef, kommen Sie schnell«, rief sie ihm halblaut zu. Im Laufschritt führte sie ihn zur anderen Seite des Hauses, auf die Doppelgarage zu. Schon von Weitem hörte er den laufenden Motor, und je näher er kam, desto penetranter stank es nach Auspuffgasen.
    Sie erreichten die rückwärtige Garagentür, und Jo sagte hastig: »Ich hoffe, Sie kriegen das Ding hier auf, Chef, ich hab es nicht geschafft.«
    Wolf hatte die Lage sofort erfasst. Mit aller Kraft rüttelte er an der Tür, dabei hob er sie leicht an, bis der Riegel aus der Zuhaltung rutschte.
    Jo drängte sich an ihm vorbei. »Halten Sie um Gottes willen den Atem an, Chef.« Sie holte tief Luft und verschwand in der offenen Tür. Wolf folgte ihr nach.
    Es dauerte einen Moment, bis seine Augen die Schwaden durchdrangen. Eng an eng, im wabernden Smog kaum auszumachen, standen zwei Wagen dicht nebeneinander. In dem einen erkannte Wolf den Audi wieder, mit dem Grabert eine Viertelstunde zuvor hier angekommen war. Der Motor lief, ziemlich laut sogar, vermutlich hatte Grabert das Gaspedal mit einem Gewicht beschwert. Ein armdicker Kunststoffschlauch führte vom Auspuff des Wagens zum Kofferraum eines  BMW  auf dem Stellplatz daneben – und ziemlich sicher von dort durch ein Loch in der Rückwand in dessen Innenraum.
    Mit zwei schnellen Schritten war Wolf bei dem Audi, öffnete die Fahrertür und stellte den Motor ab. Zur gleichen Zeit gelang es Jo, das Außentor zu öffnen. Die Lichtverhältnisse wurden etwas besser, die Auspuffgase begannen abzuziehen.
    Voll dunkler Ahnungen wechselte Wolf zu dem  BMW  und riss die Beifahrertür auf. Was er sah, bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen: Auf den Vordersitzen, leblos in sich zusammengesackt, saßen zwei männliche Gestalten, und obwohl er ihre Gesichter nicht erkennen konnte, so war er doch absolut sicher, niemand anderen als Bullock und Maroni vor sich zu haben.
    Ohne lange zu überlegen, fasste er den Beifahrer unter den Armen und zog ihn aus dem Wagen. Dann war auch Jo zur Stelle und ergriff seine Füße. Gemeinsam schleppten sie den
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