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Seelennoete

Seelennoete

Titel: Seelennoete
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
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nicht geeignet war … nicht auszudenken, was sie dann zu ihm sagen würden. Sam bemühte sich, seine Atmung zu kontrollieren. Er hatte Angst, war aber auch glücklich.
    George sah ihn so freundlich an und überhaupt war George sehr geduldig mit ihm. Ganz anders als Bill, der bei Sams Unfähigkeiten sehr schnell spöttische Kommentare von sich gab. Das Gefühl, das er empfand, wenn er mit George zusammen war, erinnerte Sam an das Zusammensein mit seinem Vater. Und manchmal verhielt sich George auch väterlich ihm gegenüber. Sam genoss diese Momente. Sein Traum war, einmal von George in den Arm genommen zu werden. Sollte das jemals geschehen, hatte Sam sich vorgenommen, sich vorzustellen, dass sie Vater und Sohn waren, die sich ganz selbstverständlich umarmten. Laine hatte ihm früher mal erklärt, dass es Georges Beruf war, sich um Kinder zu kümmern, die niemanden mehr hatten, an den sie sich wenden konnten. George arbeitete beim Jugendamt. Und er bekam Geld dafür, dass er sich um die Kinder sorgte. Sam war sich nicht sicher, ob George sich so um ihn kümmerte, weil es sein Beruf war oder weil er ihn wirklich mochte. Er hatte keine genauen Vorstellungen von Menschenberufen und dem damit verbundenen Geld. Jedenfalls war ihm klar, dass er keinen Anspruch auf Georges Zuneigung hatte. Aber chancenlos war er auch nicht. Sam wollte sich diese Gefühle verdienen. Das hatte er sich fest vorgenommen.
    Sie stiegen aus, und Sam hielt die Luft an, als er die Frau, die Laine unglaublich ähnelte, auf der Türschwelle stehen sah.
    „Atmen, Sam“, sagte George. „Du erstickst mir noch. Sie wird dich mögen.“
    „Und wenn nicht?“, flüsterte Sam. George lachte, als ob Sams Bedenken völlig abwegig wären. Widerstrebend ging Sam auf die Frau zu, die ihnen entgegenlächelte.
    „Sam, das ist meine Frau Vivian. Das ist Sam“, stellte George ihn vor.
    „Hallo, Sam“, sagte Vivian herzlich und Sam gab ihr scheu die Hand.
    „Ich bin Sam“, sagte er. „Und ich bin furchtbar aufgeregt.“ Er warf George einen unsicheren Blick zu. 
     „Ich habe hier ein Geschenk für dich. Ich hoffe, es ist angemessen.“ Seine Hand zitterte, als er ihr das Geschenk überreichte, dann trat er respektvoll wieder zurück. Es waren zwei besonders schöne Muschelhälften, die Sam mühsam mit einem Bindfaden aneinander geschnürt hatte.
    „Das sieht aber hübsch aus“, sagte Vivian.
    „Das Geschenk ist innen, aber Vorsicht, es kann leicht rausfallen.“ Sams Stimme klang heiser vor Aufregung. Vivians Finger öffneten die Verschnürung. In der einen Muschelhälfte lagen zwölf Perlen von unterschiedlicher Größe.
    Angespannt beobachtete Sam Vivians Reaktion.
    „Sieh dir das an, George, das ist ja unglaublich! Sam, das kann ich nicht annehmen. Das …“
    George machte ihr heftige Zeichen hinter Sams Rücken.
    „… das ist ein Geschenk, wie für eine Königin. Ich danke dir, Sam! Ich freue mich!“ Sie trat auf ihn zu und nahm ihn in die Arme. Sam stand wie erstarrt und ließ sich von Vivian umarmen. Er wagte nicht, sich zu rühren. Sie küsste ihn auf die Wange und schob ihn dann sanft wieder von sich.
    Wie betäubt sah Sam zu ihr auf.
     „Lasst uns ins Haus gehen“, löste George die Situation auf. „Hat Bill eigentlich schon angerufen?“
    „Nein, aber Laine kommt jeden Moment von ihrem Praktikum nach Hause.“
    George zeigte Sam das Haus und Sam staunte über jede Kleinigkeit. Vivian war sehr freundlich zu ihm. Sie ermahnte ihn nicht, also hatte er bis zu diesem Zeitpunkt keine Fehler gemacht. Später durfte er neben George auf dem Sofa im Wohnzimmer sitzen, während Vivian sich mit ihm unterhielt und ihm einige freundliche Fragen stellte. Sam entging nicht, dass Vivian kurze Blicke auf seine Kiemen warf. George hatte ihr zwar von ihm erzählt, aber Vivian brauchte Zeit, um sich an seinen Anblick zu gewöhnen. Sam gab sich große Mühe, nicht ihr Missfallen zu erregen. Mit Bill und Laine zusammen fühlte er sich ganz anders. Sie waren auf eine Art gleichberechtigt. Vor Erwachsenen dagegen hatte Sam großen Respekt.
    „Sam“, sagte George mitten in die Unterhaltung. „Du wirkst sehr angespannt. Vivian und ich, wir freuen uns, dass du hier bist. Wirklich.“
    Sam nickte und sah zu Boden. Vivian blinzelte ihrem Mann zu. George nickte zurück. Dann legte er den Arm um Sam und zog ihn ein wenig an sich. Sam zuckte zusammen. Das war fast schon eine Umarmung und sie kam so überraschend. Er hatte doch noch gar nichts getan, um sich
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