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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht
Autoren: Kelley Armstrong
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geht’s gut. Es ist einfach … Wie passen wir in das Ganze? Und Lyle House? Es gehört alles zu einem Experiment, oder?«
    Sein Kinn hob sich, nicht viel, aber es war gerade genug, um mir mitzuteilen, dass ich ihn unvorbereitet erwischt hatte und dass ihm das nicht passte. Ein freundliches Lächeln ließ den Ausdruck verschwinden, und er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
    »Es ist ein Experiment, Chloe. Ich weiß, wie sich das anhören muss, aber ich kann dir versichern, es handelt sich hier um nichtinvasive Studien, bei denen nur harmlose psychotherapeutische Techniken zum Einsatz kommen.«
    Harmlos?
Es war ganz sicher nicht harmlos gewesen, was Liz und Brady zugestoßen war.
    »Okay, und wir sind dann also Teil dieses Experiments …«, begann ich.
    »Paranormaler zu sein ist sowohl ein Segen als auch ein Fluch. Und die Pubertät ist für uns die schwierigste Entwicklungsphase überhaupt. Denn es ist die Zeit, in der unsere Kräfte sich zu manifestieren beginnen. Eine der von der Edison Group vertretenen Theorien besagt, dass es für unsere Kinder möglicherweise einfacher ist, wenn sie ihre Zukunft nicht kennen.«
    »Wenn sie nicht wissen, dass sie Paranormale sind?«
    »Ja. Und man sie stattdessen als ganz normale Menschen aufwachsen lässt, ihnen Gelegenheit gibt, ihren Platz in der menschlichen Gesellschaft zu finden, ohne dass sie sich über die bevorstehenden Veränderungen Sorgen machen müssen. Du und die anderen, ihr seid ein Teil dieser Studie. Für die meisten von euch hat es sich bewährt. Aber bei manchen, bei dir zum Beispiel, haben die paranormalen Kräfte zu plötzlich eingesetzt. Das machte es nötig, euch behutsam auf die Wahrheit vorzubereiten und zugleich dafür zu sorgen, dass ihr währenddessen weder euch selbst noch anderen Schaden zufügt.«
    Weshalb sie uns in eine betreute Wohngruppe gesteckt und uns erzählt hatten, wir wären verrückt? Uns unter Medikamente gesetzt hatten? Das ergab keinerlei Sinn. Was war mit Simon und Derek, die zu diesem Zeitpunkt bereits gewusst hatten, was sie waren? Wie konnten sie dann noch Teil dieser Studie sein? Aber wenn das, was Brady erzählt hatte, stimmte, war Derek zweifellos Teil dieser Studie.
    Und was war mit dem Wesen, das uns als Dr. Lyles Geschöpfe bezeichnet hatte? Was war mit Brady und Liz, die man dauerhaft aus dieser
Studie
herausgenommen hatte? Ermordet. Man bringt eine Versuchsperson doch sicher nicht um, wenn sie auf die »harmlosen psychotherapeutischen Techniken« nicht gut anspricht?
    Sie hatten uns von Anfang an belogen. Hatte ich mir wirklich eingebildet, sie würden jetzt auf einmal die Wahrheit sagen? Wenn ich die wirklich hören wollte, würde ich mit dem weitermachen müssen, was ich bisher getan hatte: mir die Antworten selbst suchen.
    Also ließ ich Dr. Davidoff weiterschwafeln, ließ mir die Studie erklären, dann von den anderen Teenagern erzählen, davon, wie sie uns kurieren wollten und wir sehr bald wieder draußen sein würden. Und ich lächelte und nickte und begann, eigene Pläne zu schmieden.

[home]
5
    A ls Dr. Davidoff mit seinem Propagandavortrag fertig war, brachte er mich zu Rae, die immer noch in dem improvisierten Spielezimmer saß und
Zelda
spielte. Er öffnete die Tür, winkte mich ins Innere, schloss sie wieder und ließ uns allein.
    »Ist die Zeit schon vorbei?«, fragte Rae, während sie sich langsam umdrehte. »Lassen Sie mich einfach noch fertig …«
    Als sie mich sah, sprang sie auf, der Controller landete klappernd auf dem Boden, umarmte mich und wich dann zurück.
    »Dein Arm«, sagte sie. »Hab ich dir …«
    »Nein, der ist verbunden. Musste genäht werden.«
    »Au.« Rae musterte mich mit einem langen Blick. »Und du solltest schlafen, du sieht ja halb tot aus.«
    »Das sind einfach bloß die Nekromantengene, die sich da melden.«
    Sie lachte und umarmte mich noch einmal, bevor sie sich wieder auf ihren Sitzsack plumpsen ließ. Trotz der langen Nacht, die wir im Wesentlichen mit Wegrennen verbracht hatten, sah Rae gut aus. Andererseits gehörte Rae zu den Mädchen, die eigentlich immer gut aussehen – makellose kupferfarbene Haut, kupferfarbene Augen und die langen Locken, die, wenn das Licht im richtigen Winkel fiel, ebenfalls einen kupferfarbenen Schimmer bekamen.
    »Nimm dir eine Kiste. Ich würde dir ja einen Stuhl anbieten, aber die Raumausstatter heutzutage?« Sie verdrehte die Augen. »So was von langsam. Aber wenn die erst mal mit Renovieren fertig sind, ist der Laden hier nicht
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