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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht
Autoren: Kelley Armstrong
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bedeuten, dass er nicht vorhatte, Derek »einzuschläfern wie einen tollwütigen Hund«, wie Tante Lauren es verlangt hatte. Ich stieß einen leisen Seufzer der Erleichterung aus.
    »Ich werde mich nicht entschuldigen, Chloe«, fuhr Dr. Davidoff fort. »Vielleicht sollte ich es tun, aber wir haben geglaubt, Lyle House aufzubauen sei die beste Methode, um der Situation gerecht zu werden.«
    Er winkte mich zu einem Stuhl. Es gab zwei davon in dem Raum, der, auf dem der Wachmann gesessen hatte, und einen zweiten, der an der Wand stand. Als ich einen Schritt auf den zweiten Stuhl zu machte, rollte er aus dem Schatten hervor und kam unmittelbar vor mir zum Stehen.
    »Nein, das war kein Geist«, erklärte Dr. Davidoff. »Sie können Gegenstände in unserer Welt nicht bewegen, außer es handelt sich um einen sehr spezifischen Typ, nämlich den Geist eines Agito.«
    »Eines was?«
    »Agito. Es ist Latein, die Übersetzung lautet mehr oder weniger ›etwas in Bewegung setzen‹. Es gibt viele verschiedene Typen von Halbdämonen, wie du noch feststellen wirst. Die Gabe eines Agito, wie der Name schon nahelegt, ist die Telekinese.«
    »Dinge mit Gedankenkraft bewegen.«
    »Sehr gut. Und es war ein Agito, der den Stuhl da bewegt hat. Allerdings einer, der noch sehr lebendig ist.«
    »Sie?«
    Er lächelte, und eine Sekunde lang bekam die Maske des tattrigen alten Narren Risse, so dass ich einen Blick auf den wirklichen Mann dahinter werfen konnte. Und was ich sah, waren Stolz und Arroganz wie bei einem Mitschüler, der seine mit 1+ benotete Arbeit schwenkt, als wollte er sagen
Mach’s doch besser.
    »Ja, ich bin ein Paranormaler, und das gilt für fast jeden, der hier arbeitet. Ich weiß, was du geglaubt haben musst – dass wir Menschen sind, die eure Gaben entdeckt haben und jetzt versuchen, das zu vernichten, was wir nicht verstehen, wie in diesen Comics.«
    »X-Men.«
    Ich weiß nicht, was für mich schockierender war – dass Dr. Davidoff und seine Mitarbeiter Paranormale waren oder die Vorstellung, dass dieser gebeugte, linkische Mann
X-Men
las. Hatte er sich als Junge in sie vertieft, sich vorgestellt, dass auch er selbst Xaviers Schule für junge Begabte besuchte?
    Bedeutete das, dass Tante Lauren eine Nekromantin war? Dass auch sie Geister sah?
    Bevor ich eine Frage stellen konnte, sprach er weiter: »Die Edison Group wurde vor achtzig Jahren von Paranormalen gegründet. Und sosehr sie seit ihren Anfangstagen auch gewachsen ist, es handelt sich immer noch um eine von Paranormalen und für Paranormale betriebene Organisation mit dem Ziel, unseresgleichen ein besseres Leben zu ermöglichen.«
    »Edison Group?«
    »Nach Thomas Edison benannt.«
    »Dem Mann, der die Glühbirne erfunden hat?«
    »Dafür ist er vor allem bekannt. Er hat aber auch den Filmprojektor erfunden, wofür gerade du ihm wahrscheinlich dankbar sein wirst. Andererseits kannst du, Chloe, etwas, wovon er immer träumte, das ihm aber nie gelungen ist.« Eine dramatische Pause. »Kontakt zu den Toten aufzunehmen.«
    »Thomas Edison wollte mit den Toten reden?«
    »Er glaubte an das Jenseits und wollte mit den Toten kommunizieren. Allerdings nicht durch Séancen und Spiritismus, sondern auf wissenschaftlichem Weg. Man glaubt, dass er zum Zeitpunkt seines Todes an einem Gerät zu ebendiesem Zweck gearbeitet hat – einem Telefon ins Jenseits. Pläne allerdings wurden nie gefunden.« Dr. Davidoff lächelte verschwörerisch. »Oder zumindest nicht offiziell. Wir haben den Namen gewählt, weil wir uns dem Paranormalen ebenso wie Edison auf dem wissenschaftlichen Weg nähern.«
    Paranormalen mit Hilfe der Wissenschaft das Leben leichter machen. Wo hatte ich so etwas schon einmal gehört? Ich brauchte einen Moment, bis ich darauf kam, und als es mir wieder einfiel, schauderte ich.
    Die Geister, die ich im Keller von Lyle House gerufen hatte, hatten einem Magier namens Samuel Lyle als Versuchsobjekte gedient. Zunächst als freiwillige Versuchsobjekte, hatten sie gesagt, weil er ihnen ein besseres Leben versprochen hatte. Stattdessen waren sie zu Laborratten geworden, die den Visionen eines Verrückten geopfert wurden – so hatte einer der Geister es ausgedrückt. Und dieses Wesen in meinem Zimmer hatte Brady – und mich, glaube ich – Samuel Lyles »Geschöpfe« genannt.
    »Chloe?«
    »E-es tut mir leid. Ich bin einfach …«
    »Müde, nehme ich an, nachdem du die ganze Nacht auf den Beinen warst. Würdest du dich lieber ausruhen?«
    »N-nein, mir
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