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Seelennacht

Seelennacht

Titel: Seelennacht
Autoren: Kelley Armstrong
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nicht gemacht. Das hätte ja doch bloß wieder Ärger gegeben, wenn ich nach Lyle House zurückgegangen wäre, und das konnte ich echt nicht brauchen. Und da ist dann Davidoff dazugekommen. Er hat sie aus dem Zimmer geholt, aber ich hab trotzdem noch gehört, wie er sie draußen im Gang zur Schnecke gemacht hat. Sie hat immer wieder gesagt, Derek wäre eine Gefahr, und der einzige Grund, warum Davidoff ihn behielte, wäre doch, weil er nicht zugeben könnte, einen Fehler gemacht zu haben, als er Dereks Typ mit reingenommen hat.«
    »Typ?«
    »Bei dem Experiment.«
    Kälte durchflutete plötzlich meine Magengrube. »E-Experiment?«
    Brady zuckte mit den Schultern. »Mehr hat sie nicht gesagt. Davidoff hat sie dann auch weggeschickt. Er hat gesagt, bei den anderen hätte er Fehler gemacht, aber Derek wäre anders.«
    Andere? Hatte er damit andere Werwölfe gemeint? Oder andere Versuchsobjekte in seinem Experiment? War
ich
ein Versuchsobjekt in diesem Experiment?
    »Hat er noch irgendwas sonst …«, begann ich.
    Bradys Kopf fuhr herum, als habe er aus dem Augenwinkel etwas gesehen.
    »Was ist los?«, fragte ich.
    »Hörst du das nicht?«
    Ich lauschte. »Was ist es?«
    »Flüstern.«
    »Das könnte Liz sein. Sie …«
    Brady erstarrte. Seine Augen begannen zu rollen. Dann flog sein Kopf nach hinten, die Sehnen an seinem Hals traten hervor, Knochen knackten. Die Muskeln seiner Kehle schienen sich zu verkrampfen, und er gab ein gurgelndes Geräusch von sich. Ich streckte instinktiv die Arme aus, um ihm zu helfen, doch meine Hände glitten durch ihn hindurch. Ich spürte die Hitze seines Körpers, eine sengende Hitze, bei der ich vor Überraschung zurückfuhr.
    Brady wurde wieder ruhiger. Er senkte das Kinn und ließ die Schultern kreisen, als wolle er seine Muskeln lockern. Dann sah er auf mich herunter. Seine dunklen Augen hatten jetzt ein glühendes Gelborange angenommen. Das kalte Gefühl in der Magengrube begann mein Rückgrat hinaufzukriechen.
    »Hast du Angst, Kind?« Die Stimme, die jetzt aus Bradys Mund drang, war eine Frauenstimme, so hell und klar, dass sie fast etwas Mädchenhaftes hatte. »Dein Instinkt scheint recht verlässlich zu sein, aber du hast von mir nichts zu befürchten.«
    »W-wo ist Brady?«
    Sie sah auf den Körper hinunter, den sie in Besitz genommen hatte. »Gefällt er dir? Ja, er sieht gut aus, stimmt’s? Alle Geschöpfe unseres lieben Dr. Lyle sind so überaus hübsch. Makellose Kugeln aus makelloser Energie, die nur darauf warten, zu explodieren.«
    Ein Lidschlag, und »Brady« stand unmittelbar vor mir, das Gesicht direkt vor meinem. Sengend heißer und merkwürdig süßer Atem hüllte mich ein. Der Blick der orangefarbenen Augen fing meinen auf, die Pupillen senkrechte Schlitze wie bei einer Katze.
    »Der Junge kann dir nicht helfen, Kind. Aber ich kann es. Du musst nur …«
    Ihre Pupillen rollten nach hinten, verdunkelten sich zu Bradys Braun, wurden wieder orange. Sie stieß ein Fauchen aus.
    »Die zerren ihn zurück auf die andere Seite. Ruf mich, Kind. Schnell.«
    »R-ruf …«
    »Ruf mich herauf. Ich kann …«
    Ihre Augen begannen wieder zu rollen, und das Fauchen wurde dunkler, unmenschlich, ein Geräusch, bei dem die Kälte in meinen Adern zu Eis zu gefrieren schien. Ich trat zurück und rammte mit dem Rücken gegen die Wand.
    »Ruf mich herauf«, forderte sie erneut mit zerrissener Stimme, die dunkler wurde, die wieder zu Bradys wurde. »Ich kann all deine Fragen beantworten. Ruf …«
    Bradys Umriss begann zu flackern und verschwand dann wie das Bild eines Fernsehers, wenn man das Kabel herauszieht – ein Knacken, ein weißes Aufblitzen, und er war fort. Ich glaubte, ein Klopfen an der Tür zu hören, konnte mich aber nicht rühren, konnte nur die Stelle anstarren, wo Brady eben noch gewesen war.
    Die Tür öffnete sich. Dr. Davidoff trat herein und sah mich an die Wand gedrückt dastehen.
    »Chloe?«
    Ich taumelte und rieb mir die Arme.
    »Chloe?«
    »S-Spinne«, sagte ich und zeigte aufs Bett. »S-sie ist da druntergerannt.«
    Dr. Davidoff kämpfte sichtlich gegen ein Grinsen an. »Mach dir nichts draus. Jemand wird sich drum kümmern, während wir weg sind. Wir machen einen Spaziergang. Es wird Zeit, dass du einen richtigen Rundgang und eine Erklärung bekommst.«

[home]
4
    W ährend ich Dr. Davidoff durch den Flur folgte, versuchte ich, den Gedanken an das Wesen abzuschütteln, das da in meinem Zimmer aufgetaucht war. Ich war eine Nekromantin. Geister waren
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