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Seelenlos

Seelenlos

Titel: Seelenlos
Autoren: D Koontz
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zurückgezogen, aber ich konnte mich nur einen Meter von André entfernen, bevor ich auf die Wand stieß.
    Mit beiden Füßen auf einer Querstange stehend, packte ich das Gitter nur noch mit einer Hand und zog mit der anderen das Fischmesser aus meinen Jeans. Erst beim dritten Versuch – André war nur noch eine Armlänge von mir entfernt – gelang es mir, die Klinge aufschnappen zu lassen.
    Nun war es doch noch zur letzten Abrechnung gekommen. Es hieß: er oder ich. Fisch oder Köder.
    Ohne sich um das Messer zu kümmern, hangelte er sich noch näher und griff nach mir.
    Ich schlitzte ihm die Hand auf.
    Statt aufzuschreien oder wenigstens zusammenzuzucken, schloss er die blutende Faust um die Klinge.
    Nicht ohne Folgen für ihn riss ich ihm das Messer weg.
    Mit der verwundeten Hand griff er in mein Haar und versuchte, mich vom Tor zu zerren.
    So schmutzig, persönlich und grässlich es auch sein mochte, es war notwendig. Ich stieß ihm das Messer tief in den Bauch und zog es ohne zu zögern nach unten.
    André löste den Griff um mein Haar und packte das Gelenk der Hand, die das Messer hielt. Dann ließ er das Tor los, stürzte ab und zog mich mit sich.
    Wir rollten über das angesammelte Treibgut, verschwanden unter Wasser und kamen zappelnd an die Oberfläche. Eisern hielt er mein Handgelenk umklammert und schlug mit der anderen Faust auf meine Schulter, meinen Kopf ein. Wieder zog er
mich mit sich hinab. Blind und erstickend wälzte ich mich im trüben Wasser, und als ich hustend wieder hochkam, hatte er irgendwie das Messer an sich gebracht. Dessen Spitze fühlte sich nicht scharf, sondern heiß an, als er es mir diagonal über die Brust zog.
    Was in den nächsten Sekunden oder Minuten geschah, weiß ich nicht mehr. Meine Erinnerung setzt erst wieder damit ein, dass ich auf der Ansammlung von Treibgut unterhalb des Tors lag und mich mit beiden Händen an eine von dessen Eisenstangen klammerte, voller Angst, ich könnte in den Kanal rutschen und es dann nicht mehr schaffen, den Kopf über Wasser zu bekommen.
    Erschöpft und jeder Kraft beraubt wurde mir klar, dass ich das Bewusstsein verloren hatte und gleich wieder in Ohnmacht fallen würde. Mit unendlicher Mühe gelang es mir, mich etwas weiter hochzuziehen und beide Arme durchs Gitter zu stecken, damit sich meine Ellbogen darin verhakten und mich am Abrutschen hinderten, wenn ich mich nicht mehr festhalten konnte.
    Links von mir schaukelte die Leiche von André im Wasser. Sie hatte sich im Treibgut verfangen. Die Augen in dem nach oben gewandten Gesicht waren in den Kopf zurückgerollt. So glatt und weiß wie Eier waren sie, so weiß und blind wie Knochen, so blind und schrecklich wie die Natur in ihrer Gleichgültigkeit.
    Ich glitt ins Dunkel.

60
    Das Prasseln nächtlichen Regens an die Fenster … Aus der Küche schwebt der köstliche Duft eines Bratens herein, der im Backofen vor sich hin schmort …
    In seinem Wohnzimmer füllt Little Ozzie seinen riesigen Armsessel bis zum Überfließen aus.
    Das warme Licht der Tiffanylampen, die Edelsteinfarben des Perserteppichs, die Bilder und Kunstgegenstände zeugen von seinem guten Geschmack.
    Auf dem Tisch neben seinem Sessel stehen eine Flasche exquisiter Rotwein, ein Teller Käse, eine Schale geröstete Walnüsse. Diese Dinge zeugen von seinem stilvollen Streben nach Selbstzerstörung.
    Ich sitze auf dem Sofa und beobachte ihn eine Weile beim Lesen, bevor ich sage: Sie lesen immer Saul Bellow und Hemingway und Joseph Conrad.
    Inmitten eines Absatzes lässt er sich nicht unterbrechen.
    Ich wette, Sie möchten eigentlich etwas Anspruchsvolleres schreiben als Geschichten über eine Detektivin mit Bulimie.
    Ozzie seufzt und schiebt sich ein Stück Käse in den Mund, den Blick auf das Buch gerichtet.
    Sie sind so talentiert, dass Sie bestimmt schreiben könnten, was Sie wollten. Ich frage mich, ob Sie es wohl einmal versucht haben.
    Er legt das Buch weg und greift nach seinem Weinglas.

    Ach, sage ich überrascht, so ist es also.
    Ozzie nimmt einen Schluck Wein und blickt, das Glas noch in der Hand, in die Ferne, nicht auf etwas im Zimmer.
    Sir, ich wünschte, Sie könnten mich jetzt hören. Sie waren mir ein echter Freund. Ich bin so froh, dass Sie mich dazu gebracht haben, die Geschichte von mir und Stormy und dem, was mit ihr geschehen ist, zu schreiben.
    Nach einem zweiten Schluck schlägt er das Buch wieder auf und liest weiter.
    Vielleicht wäre ich verrückt geworden, wenn Sie mich nicht dazu gebracht
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