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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter
Autoren: Laura Whitcomb
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war.
    »Du«, sagte der Captain ernst und eindringlich, »wurdest verwundet. Dennoch …« Er legte sich die Kette mit dem zerbrochenen Schlüssel um den Hals. »Wer von deinen Gefährten hier hatte je das Bedürfnis, die heiligen Gebote zu brechen? Du allein warst als Mensch verkleidet auf der Erde und hast den Weg zurück in den Himmel gefunden. Du bist der Einzige, der sich je einem Dämon entgegengestellt hat.«
    Diese Worte, zusammen mit dem sanften Ton, klangen wie ein Traum, verwirrend und zu schön, um wahr zu sein. Das Schiff fuhr auf Grund und blieb stehen.
    »Du bist ein Begleiter von wahrer Standhaftigkeit.«
    »Du lässt mein dummes Handeln wie große Taten klingen«, erwiderte Calder. »Aber so war es nicht.«
    »Es ist der einzige Weg, um einen Fehler in einen Orden des Überlebens zu verwandeln«, fügte der Captain hinzu. »Demut.« Er zog etwas unter seinen Roben hervor, klein genug, dass es in seine Faust passte. »Wie du ist das hier der einzige seiner Art.« In seiner Handfläche lag eine herrliche Kette mit einem kleinen Schlüssel daran, wie ihn Calder noch nie gesehen hatte. Er schien in einem tiefen Kupferglanz, war kurz und feingliedrig, der Griff war wie ein rundes Tor geformt, der Bart war ohne Zähne.
    Der Captain sprach mit ernster Stimme, als er Calder aus dem Boot an Land geleitete. »Ich reiche dir diesen ehrwürdigen Schlüssel.« Er legte dem Seelenhüter die Kette um. »Unser Auserwählter.«
    Calder spürte das Gewicht des Schlüssels und rieb mit den Fingern über die kühle Oberfläche.
    »Willst du geloben zu gehen, wohin man dir befiehlt?«, fragte der Captain. »Jede Tür zu öffnen, die man dir zeigt, und alles zu tun, was man von dir verlangt, im Namen des Himmels und der Erde?«
    Calder starrte den Captain sprachlos an. »Das gelobe ich.«
    »Dann gebe ich dir in Gottes Namen den Segen für diese Aufgabe.«
    »Öffnet dieser Schlüssel alle Todestüren?«, fragte Calder.
    »Er öffnet alle Türen.«
    Wird Ana je auf der anderen Seite einer Tür sein, die ich aufschließe?,
wollte er fragen.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte der Captain. »Du wirst sie wiedersehen.«
    Am Ende der Zeit, wenn sie tausend Jahre im Himmel war und mich längst vergessen hat?
    »Bald schon«, fügte der Captain milde hinzu.
    Calder merkte, dass er gleich allein zurückbleiben würde. »Werde ich ein Gebetszimmer haben? Wie werde ich dich finden?«
    Der Captain umarmte den jungen Seelenhüter fest. »Wir werden einen Weg finden, Nachrichten auszutauschen.« Er wirkte vollkommen ruhig.
    »Wie komme ich zurück in die Welt der Lebenden?«, rief Calder, doch da entfernte sich das Schiff, ohne dass der Captain am Steuerrad stand.
    »Halt nach den Türen Ausschau!«, rief er noch. »Und winke wenigstens deinen Freunden noch zu.«
    Calder konnte sich nicht vorstellen, was damit gemeint war, bis er sich zu den Klippen umdrehte, wo Hunderte Begleiter auf dem Hügel vor den Zedern standen. Er war sich nicht sicher, was seine Kameraden für ihn empfanden. Diejenigen, die ihn in Rasputins Gestalt gesehen hatten, schienen wütend auf ihn zu sein, doch als er eine Hand zum Gruß erhob, brandete Jubel unter den Bäumen auf und schwebte zu ihm hinunter an den Strand. Beinahe gleichzeitig erschienen unzählige Türen hinter seinen Kameraden, und sie gingen eifrig an die Arbeit.
    Calder war allein, doch angefüllt mit gleißender Freude.
Mach dir keine Sorgen,
hatte der Captain gesagt.
Du wirst sie wiedersehen. Schon bald.
    Er dachte einen Moment über die kryptische Mitteilung nach und hegte eine vage Hoffnung. Ana war vielleicht nur eine Stunde, eine Minute von ihm entfernt, wartete in einem Himmelsgang, und er hatte den Schlüssel für alle Türen. Sie könnte hinter jeder Tür sein, sogar hinter dieser hier.
    Eine Tür hatte sich materialisiert, geborgen im Sand, aus schwerem, rustikalem Holz, wettergegerbt und gekerbt, mit einem verdrehten Eisengriff. Die langen Angeln erstreckten sich von oben nach unten und waren aus dunklem, gehämmertem Metall wie uralte Speere. Dazwischen war das Holz mit vier Dreiecken nach innen gehauen, die ein Kreuz formten. Eine sogenannte Hexentür, die böse Geister abhalten sollte. Unter dem eisernen Türgriff befand sich kein Schlüsselloch, doch das schien keine Rolle zu spielen.
    Als Calder sich der Tür näherte, den neuen Schlüssel in der Hand, erbebte der Griff, und die Angeln knirschten. Er hatte keine Ahnung, welche Ecke der Welt sich dahinter verbarg.
    Mach dir keine
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