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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter
Autoren: Laura Whitcomb
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sprang bellend unter der Ecke des Dachbodens hin und her, wo die Kinder gefangen waren.
    »Wir brauchen Hilfe!«, schrie Calder.
    Doch diejenigen, die an der Wand kauerten, blickten nicht auf, die auf dem Boden Knienden hörten ihn nicht, und die Erstarrten blickten ihn nur verständnislos an.
    »Ich suche den Brunnen«, sagte Ana und lief ins Freie. Alexis war nirgends zu sehen.
    »Wacht auf«, brüllte Calder.
Sie benehmen sich wie Dämonen,
dachte er. Er wandte sich an die Frau unmittelbar neben ihm. Es war diejenige, die versucht hatte, zu ihren Kindern zu kommen. Sie blutete am Arm und wirkte wie in Trance, als Calder sie fragte: »Wie heißt du?«
    Sie erschauderte und blinzelte ihn an.
    »Wie heißt du?«, wiederholte er.
    »Irina«, antwortete sie.
    »Irina«, sagte er, »hilf mir, die Kinder zu retten.«
    Da wachte sie endlich aus ihrer Starre auf, rannte zu der Ecke unter dem Dachboden und rief die Namen der Kinder, um sich zu versichern, dass alle da waren.
    Calder kniete sich nun neben einen der betenden Männer. »Wie heißt du?«
    Der Angesprochene schrie vor Überraschung auf, antwortete aber: »Victor.«
    »Victor, bitte hilf uns, die Kinder zu retten«, sagte Calder, während er sah, wie Irina ein Brett heranzog, um die Leiter zu ersetzen.
    Ana rüttelte einen auf dem Boden kauernden Soldaten an der Schulter, fragte ihn nach seinem Namen und zog ihn ins Freie. Binnen einer Minute hatten sich die Menschen gegenseitig aus ihrer Erstarrung befreit. Ana, einige Soldaten und Zivilisten holten mit kleinen Eimern und Büchsen Wasser vom Brunnen, um das Feuer zu löschen. Der Dachboden brannte nun lichterloh und war nicht mehr stabil genug, um das Brett zu halten, als Calder es vorsichtig betrat. Sofort fiel es zu Boden, der Rand des Dachbodens brach ab, und zwei brennende Kisten stürzten herunter. Weizen und Kartoffeln verteilten sich auf dem Boden.
    Die Kinder waren hinter einer Feuerwand gefangen, sie husteten und schrien, wagten sich aber nicht aus ihrer Ecke. Da es keine Möbel gab, die man hätte aufeinanderschichten können, und da die Kisten bereits alle brannten, rannte Calder zusammen mit einem Soldaten nach draußen. Der eine nahm den anderen auf die Schultern, und so versuchten sie, die verschlossenen Lüftungsschlitze unter dem Dach zu erreichen, aus denen Rauch drang. Der Hund sprang um ihre Füße und heulte wie ein Wolf.
    Drei Männer bildeten die Pyramide, und zwei weitere halfen einem Soldaten, daran hinaufzuklettern. Calder hörte die Axtschläge und sah die Holzsplitter um ihn herum zu Boden fallen. Er hatte Angst, bemerkte jedoch erleichtert, dass keine Todestüren in der Gegend erschienen waren. Irina stand neben ihnen, als der Mann die sieben Kinder vorsichtig bis in Calders Arme hinunterreichte, der sie der Frau sogleich übergab. Eines von ihnen umklammerte immer noch eine Puppe aus alten Socken. Die Geretteten waren verängstigt, ihre Gesichter rußverschmiert, doch sie waren alle am Leben. Drei Jungen und vier Mädchen.
    Ana wartete, bis sich die Männerpyramide wieder aufgelöst hatte, dann bewegten sich alle rasch vom Haus weg, das nicht mehr zu retten war, genau wie die restlichen Lebensmittel und die Gewehre. Selbst die Verwundeten beobachteten das Feuer, als ob sie nicht mehr wüssten, wie es entstanden war.
    Die Mütter kümmerten sich um ihre Kinder, wischten ihnen Hände und Gesichter mit feuchten Lappen sauber. Zwei der Kleinen nahmen den Hund auf den Schoß.
    »Wo ist Alexis?«, fragte Ana.
    Sie und Calder umrundeten das Haus und suchten überall nach ihm. Der Seelenhüter fand das Hemd des Jungen einige Schritte vom Haus entfernt in einer Pfütze, die ganz milchig von dem vielen Puder war.
    »Hier hat er sich gewaschen«, sagte Calder, nahm das Hemd und wrang es aus.
    Ana rannte den Hügel zu einem kleinen Wäldchen hinauf, dicht gefolgt von Calder. Dann bemerkten sie das graue Pferd, das ihnen reiterlos entgegenkam.

36.
    D ie Stute ging gemächlich an ihnen vorbei, und Ana trieb ihren geschwächten Körper an. Calder holte sie ein, und sie betraten gemeinsam den düsteren Wald. Wieder und wieder riefen sie Alexis’ Namen, erhielten jedoch keine Antwort. Da sah Calder ein Licht im Westen und rannte darauf zu. Alexis lag auf der Seite, seine Haut ließ jedes Blatt um ihn herum in reinem weißem Licht erstrahlen, doch Calder hatte den Eindruck, dass auch ein Schatten über dem Jungen schwebte.
    Ana und Calder stürzten durchs Gebüsch an seine Seite. Calder wollte den
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