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Seelenhüter

Seelenhüter

Titel: Seelenhüter
Autoren: Laura Whitcomb
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Jungen aufheben, der jedoch vor Schmerz aufschrie. Also setzte er sich vorsichtig neben ihn und ließ zu, dass Alexis sich an ihn lehnte, während Ana ihn behutsam in sein Hemd hüllte, um ihn vor der Luft zu schützen. Seine Augen waren glasig, sein Atem ging schwer, doch er lächelte.
    »Hat es funktioniert?«, fragte er.
    »Ja«, antwortete Ana. »Du hast den Tag gerettet.«
    »Hast du ihre Gesichter gesehen?«, fragte Calder.
    Der Junge lachte, zuckte dann jedoch zusammen. Als seine Haut fast ganz bedeckt war, atmete er leichter. Er sah, dass Ana den Tränen nahe war. »Sei nicht so ein Mädchen«, sagte er. »Mir ging es schon schlechter.«
    Ernsthaft wie eine Krankenschwester holte sie die Puderdose aus der Tasche und tupfte ihm das Gesicht ab. Alexis hustete, als er den feinen Puder einatmete, er stieß mit der Hand gegen Anas, und die Dose fiel zu Boden.
    Das Mädchen schrie auf, als der Puder sich in einer weißen Wolke auf dem Gras und den Sträuchern verteilte. »Nein!« Sie versuchte, so viel wie möglich aufzusammeln.
    »Es ist in Ordnung«, sagte Alexis.
    Ana betupfte seine Wangen und Lider zärtlich mit den Puderresten. Sie nahm die leere Dose mit zitternden Händen auf und kratzte jeden Krümel heraus, um ihn sorgfältig auf dem Kiefer ihres Bruders zu verteilen. Als seine Haut danach immer noch weiß glühte, stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie legte die Hand auf den Kragen seines nassen Hemdes, befeuchtete so ihre Hände und rieb sich über die Wangen.
    »Nicht«, sagte Alexis, doch sie ließ sich nicht beirren und verteilte den Puder aus ihrem Gesicht auf seiner Nase und den Schläfen. »Es ist in Ordnung«, sagte er und wollte sie aufhalten, als sie den Puder von ihren Handgelenken reiben wollte, doch ihre Finger waren zu trocken.
    »Ana, hör auf.« Alexis klang sehr bestimmt.
    Eine Träne rann langsam ihre Wange hinab. Sie fing sie mit einer Fingerspitze auf, benetzte die Augenlider mit der Feuchtigkeit und bemalte dann seine Kehle mit der milchigen Substanz.
    Alexis lehnte an Calders Brust und flüsterte: »Tu was.«
    Calder hatte bisher hilflos zugesehen, doch jetzt reagierte er. Er musste Ana nur am Ellbogen berühren, um sie zum Aufhören zu bringen. Er wusste genau, was sie dachte. Sie waren vor dem Tod, nicht aber vor Schmerzen sicher. Das Erstrahlen schwächte die Kinder, das Fieber schien kein Ende zu nehmen, verschlimmerte sich von Stunde zu Stunde, und Alexis’ Auftritt forderte seinen Tribut. Es war genauso wie damals, als der Junge mit dem brennenden Streichholz experimentiert und festgestellt hatte: Man könnte uns für immer quälen.
    Anas Augen waren immer noch feucht und verängstigt.
    »Sieh dich an«, sagte Alexis und zupfte an ihren Ärmeln, deren Manschetten auf beiden Seiten weggebrannt waren. Offensichtlich hatte sie es bisher nicht bemerkt, denn sie keuchte und zupfte an dem geschwärzten Stoff.
    »Oh, verstehe«, zog er sie auf. »Du weinst mehr um den hässlichen Fetzen als um deinen eigenen Bruder.«
    Sie sah ihn tadelnd an, doch ein Lächeln umspielte ihre Lippen. »Ich liebe dieses Kleid.«
    »Es ist abscheulich.«
    »Es war ein Geschenk«, protestierte sie.
    »Lasst mich nur kurz ausruhen«, sagte Alexis, doch sein Atem ging angestrengt, und er lehnte sich schwer an Calder.
    »Tut mir leid.« Die Stimme gehörte weder Ana noch Alexis. Calder verharrte still und horchte. Nagorny kauerte auf einem Knie neben Alexis’ Schulter. »Es tut mir leid, dass die Schwärze euch bis hierher gefolgt ist«, sagte er. »Sie haben nicht mehr auf mich gehört.«
    »Du hast dein Bestes getan, Nagorny«, flüsterte Calder. Ana keuchte leise, sagte aber nichts. »Ich danke dir.«
    »Der Junge braucht Vater Grigori.« Nagorny erhob sich. »Er konnte seine Schmerzen immer lindern. Wie sehr ich ihn um diese Gabe beneidet habe.«
    Calder hätte es ihm am liebsten nicht gesagt. »Rasputin ist zu den Dämonen zurückgekehrt.«
    »Ja.« Nagorny grinste. »Er hält die Wütenden zurück.«
    Hoffnung stieg in Calder auf. »Er hilft uns?«
    »Ich werde nun seinen Platz einnehmen«, sagte Nagorny, »und ihn zu dem Jungen schicken.« Er beugte sich vor und umfing Alexis’ Kopf für einen Moment mit seinen unsichtbaren Händen. »Ich werde auf dich warten«, flüsterte er.
    Calder sagte: »Ich fürchte, Alexis wird nicht an denselben Ort kommen wie du.«
    »Auf sie werde ich warten«, sagte er freundlich. »Wenn sie an diesen dunklen Ort kommen, um gegen die Wütenden zu kämpfen, werde ich an
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