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Seelengift

Titel: Seelengift
Autoren: Veronika Rusch
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nicht wirklich weiter, doch sie
klammerte sich an diese Sätze wie an den sprichwörtlichen Strohhalm. »Ich möchte mit Ihnen reden«, sagte sie und sah ihm dabei fest in die Augen, obwohl ihre Stimme angstvoll flatterte. »Über Gerlinde Ostmann.«
    Er zögerte. »Es ist schon spät«, sagte er, so als habe sie versucht, ihn zu überreden, mit ihm auf ein Glas Bier auszugehen.
    Clara ließ nicht locker. »Es ist wichtig«, insistierte sie, und nach kurzem Überlegen fügte sie vorsichtig hinzu: »Auch wenn Sie das glauben, ich bin nicht Ihre Feindin.«
    Gerlach reagierte nicht sofort. Er stand einfach nur da. Dann plötzlich sagte er: »Niemand redet einfach nur. Es steckt immer etwas dahinter.«
    »Ja«, gab Clara ihm nach kurzem Überlegen recht. »Bei mir auch.«
    Endlich hob er den Kopf, sah sie an, lauernd und gleichzeitig furchtsam.
    »Ich möchte Sie verstehen«, sagte Clara so aufrichtig wie möglich, und es fiel ihr nicht schwer, denn trotz der Angst, die sie hatte, wollte ein Teil von ihr wirklich verstehen. Und dieses Verstehenwollen schaffte es auch, ihre Furcht im Zaum zu halten.
    »Mich verstehen?«, wiederholte Gerlach verdutzt. »Aber sie sind die Jägerin. Die rothaarige Jägerin …«
    Clara ging nicht darauf ein. »Sie haben Gerlinde Ostmann in einer Kneipe kennengelernt? Sie haben dort Akkordeon gespielt …«
    Gerlach nahm sie am Arm. »Los, gehen Sie.« Er schob sie zurück in Richtung Küche.
    »Sie spielen sehr gut Akkordeon«, versuchte Clara es weiter. »Ich habe Sie heute gehört. Sie spielen sicher schon seit Ihrer Kindheit?«

    Er gab keine Antwort.
    »Hat Gerlinde Ostmann Ihre Musik gefallen?«
    »Ich kannte ihren Namen nicht«, sagte Gerlach unvermittelt und blieb stehen. »Nur Gerda. Sie sagte, sie heiße Gerda. Auch gelogen.«
    »Nein, das war sicher nicht gelogen.« Clara schüttelte den Kopf. »Vielleicht gefiel ihr Gerda einfach besser? Es ist eine Art Abkürzung von Gerlinde.«
    Gerlach nickte. »Sie war schön«, sagte er. »Und traurig.«
    Clara dachte an die farblose, dickliche Frau auf den Fotos und überlegte, was Gerlach wohl an ihr anziehend gefunden hatte. Fotos sagten so wenig über einen Menschen aus. Vielleicht hatte sie ein schönes Lächeln gehabt.
    »Ihr war der Job gekündigt worden«, sagte sie. »Nach zwanzig Jahren in der gleichen Firma.« Sie standen jetzt in der Küche, und Gerlach deutete auf die Sitzecke. »Setzen Sie sich! Und laufen Sie nicht mehr weg.«
    Clara rutschte auf die Bank.
    Gerlach setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber. Der Tisch war leer und blitzblank. Die Wände waren kahl. Nur hinter seinem Kopf hing das gerahmte Foto einer schwarzhaarigen Frau mit Mittelscheitel und hochgestecktem Haar. Clara lief es kalt den Rücken herunter. Es war ein Porträtfoto in Schwarzweiß, und die Frau darauf starrte mit kalten Augen auf sie herab. Das musste die Mutter sein.
    »Ich habe sie nur drei Stunden gekannt«, sagte Gerlach, und Clara riss sich von dem Foto los. »Nur drei Stunden! Stellen Sie sich das vor! Niemals zuvor habe ich … bin ich …« Er schüttelte den Kopf.
    »Sie waren sich eben sympathisch«, half ihm Clara weiter. »Da kann es schon einmal vorkommen, dass man sich so schnell näher kommt …«

    »Aber nicht ich!«, wandte Gerlach heftig ein, und seine Hände, die vor ihm auf dem Tisch lagen, verknoteten sich. »Ich hätte das nicht tun dürfen. Und dann, dann kam die Strafe!«
    »Die Strafe? Welche Strafe? Wofür?«
    »Dafür, dass ich sie heimgefahren habe, mit dem Auto. Ich hätte das nicht tun dürfen, ich hatte getrunken. Und dann, dann habe ich mit ihr … dort am Bachufer in meinem Auto … Sie meinte: ›Halte doch mal an‹ …« Er schlug die Hände vor das Gesicht.
    »Aber Sie sind doch beide erwachsen… Sie konnten doch tun, was Sie wollten.«
    »NEIN! Das tut man nicht! Das ist …« Er atmete heftig, »Das ist widerlich.« Er verzog das Gesicht vor Ekel. »Es war so widerlich, ich hatte zu viel getrunken, das tue ich sonst nie, ich war nicht ganz bei Sinnen … und dann, als sie plötzlich anfing zu röcheln, bin ich wieder zu mir gekommen. Es war widerlich, wie sie da im Auto lag, ganz nackt und ich auf ihr … in ihr drin …« Er presste die Hände auf den Mund und schloss die Augen. Nach einer Weile sprach er mit leiser, abwesender Stimme weiter: »Der Geruch war so abstoßend. Es roch nach Schweiß und Alkohol und nach … Körpern, nach ihrem Körper und nach … meinem. Das ganze Auto stank! Und dann begann sie
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