Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenflüstern (German Edition)

Seelenflüstern (German Edition)

Titel: Seelenflüstern (German Edition)
Autoren: Mary Lindsey
Vom Netzwerk:
ich schon eingebildete Stimmen. Genau wie er.
    Ich musste hier raus. Sofort!
    Hektisch riss ich am Türgriff, wollte nur noch weg. Doch die Tür ließ sich nicht öffnen. Ich fingerte am Schloss herum, aber es klemmte. Heftig zerrte ich an der Klinke.
    »O mein Gott!«, schrie ich. »Lass mich raus!«
    Jemand rüttelte an der Eingangstür der Mädchentoilette und rief etwas. Es war Miss Mueller, die Geschichtslehrerin der Elften. Ihre schneidende Stimme erkannte ich trotz aller Panik.
    »Miss Anderson! Warum ist die Toilettentür abgeschlossen?«
    Vor Angst fiel mir keine Antwort ein. Ich schlug panisch mit den Handflächen gegen die Kabinentür. »Holen Sie mich hier raus!« Es wurde noch kälter. Mir klapperten die Zähne.
    »Bitte hilf mir«, flüsterte die Kinderstimme in meinem Ohr.
    Ich schrie.
    »Miss Anderson! Öffnen Sie die Tür!«, befahl Miss Mueller draußen im Flur.
    »Holen Sie mich raus! Bitte helfen Sie mir.« In meiner Verzweiflung warf ich mich schließlich auf den dreckigen Boden und schlängelte mich durch den Spalt unter der Klotür hindurch. Nichts wie weg von dieser Stimme. Ich sprang auf und stürzte zum Ausgang, riss am Griff und wollte hinaus zu meinen Klassenkameraden, doch das Mistding ließ sich nicht öffnen. Noch einmal zerrte ich an der Klinke. Umsonst. Mit aller Kraft versuchte ich, den Knauf zu drehen – es war aussichtslos.
    »Ich brauche deine Hilfe.«
    »Bitte«, flüsterte ich. »Bitte geh weg und lass mich in Ruhe.« Ich rutschte an der Tür entlang zu Boden und rollte mich zitternd zu einem festen Ball zusammen. Mit zugekniffenen Augen betete ich, dass ich endlich aus diesem Albtraum erwachen würde. Dass ich nicht verrückt war. Dass ich keine Halluzinationen hatte, so wie er.
    Vom anderen Ende der Toilette kam ein Schniefen, als weinte dort wirklich ein Kind. Weil meine Zähne so laut klapperten, hörte ich es kaum. Einen Augenblick lang hatte ich fast Mitleid und wollte das Kind gerne trösten. Doch dann entknotete ich mich und richtete mich auf. »Hau ab!«
    »Hilf mir.«
    »Ich kann dir nicht helfen. Vergiss es.« Ich schüttelteden Kopf. Dann hielt ich mir die Ohren zu, damit ich das Jammern nicht mehr hören musste.
    »Dich gibt es überhaupt nicht.«
    Das Weinen hörte auf.
    Starr saß ich in der Stille. Lauschte. Betete.
    »Du bist gar nicht echt«, flüsterte ich.
    Plötzlich war es nicht mehr so kalt.
    Dang, dang.
    Miss Mueller wummerte erneut gegen die Tür. »Aufmachen. Sofort!«, kommandierte sie.
    Ich rappelte mich hoch und legte die Finger um den Türknauf. Aber ihn zu drehen, brachte ich noch nicht fertig. Wenn ich die Tür nun wieder nicht aufbekam, würde ich ganz sicher losschreien und vielleicht nie wieder damit aufhören können.
    Nach einem tiefen zittrigen Atemzug versuchte ich schließlich mein Glück. Ich drehte den Griff, er bewegte sich, die Tür ging mühelos auf. Mit weichen Knien wich ich ein paar Schritte zurück. Vorsichtshalber schloss ich die Augen, denn ich wollte nicht sehen, wie Miss Mueller mich fixierte und wie meine Klassenkameraden mich neugierig musterten. Diese Blicke kannte ich seit meiner Kindheit. So hatten die Leute meinen Vater angestarrt, wenn er in einen seiner Zustände verfallen war. Solche Blicke hob man sich für Irre auf. Für Leute wie mich.
    »Du hast Glück, Lilian. Sie hätte dich auch zum Nachsitzen verdonnern können«, sagte Mom, als wir aus dem Büro der Beratungslehrerin kamen. »Einfach aus der Klasse zu rennen und dich in der Toilette einzuschließen – das sieht dir gar nicht ähnlich. War irgendetwas?«
    Auf dem ganzen Weg zum Auto kämpfte ich mit mir. Eigentlich wollte ich ihr alles sagen, aber ich brachte esnicht fertig. Das würde sie nicht verkraften. Mir ging es ja genauso. Wenn ich daran dachte, was sie durchgemacht hatte und was nun vielleicht noch einmal auf sie zukommen würde, krampfte meine Brust sich schmerzhaft zusammen.
    Ich rutschte in den Wagen, zog mir einen Haargummi vom Handgelenk und band mir einen Pferdeschwanz. »Ich hab die Tür nicht abgeschlossen. Sie hat bloß geklemmt. Oder so.«
    Mom fischte die Sonnenbrille aus ihrer Handtasche. »Die Beratungslehrerin meinte, du hättest geschrien.«
    Ich wickelte den Gummi noch einmal um mein Haar und zuckte zusammen, als meine Finger dabei die Beule streiften. »Stimmt. Als ich die Tür nicht öffnen konnte, bekam ich Panik.«
    Mom sah mich an. »Willst du mit jemandem darüber reden, Lilian? Dr. Alexander sagte, du könntest jederzeit zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher