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Seelenflüstern (German Edition)

Seelenflüstern (German Edition)

Titel: Seelenflüstern (German Edition)
Autoren: Mary Lindsey
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Geräusch, das wie das Rauschen eines Radios klang, bei dem kein Sender eingestellt war. Ich hätte gern gewusst, weshalb die Tablette gestern geholfen hatte, heute aber nicht.
    »Dass wir hier sind, ist okay. Hauptsache, du fühlst dich besser.« Zak nahm mir die Gitarre ab. »Auch wenn ich ehrlich gesagt nicht ganz verstehe, dass du ausgerechnet so deinen Geburtstag verbringen willst.«
    Ich verstand es ja selbst nicht. Aber irgendetwas in mir hatte mich gedrängt, hierherzukommen.
    Der Friedhof lag in einem üblen Viertel; nachts hatte ich mich noch nie dorthin gewagt. Und ich wusste nicht, was mich mehr ängstigte – die unheimliche Atmosphäre, die Aussicht, dass gleich die Polizei anrücken würde, weil wir in einen abgeschlossenen Friedhof eingestiegen waren, oder die Tatsache, dass Zak auf dem Weg über den Fahrdamm die Jack-Daniels-Flasche geöffnet hatte und seither immer wieder von dem Whiskey trank.
    Auf einem schmalen gepflasterten Weg gingen wir durch den verfallenen, älteren Teil des Friedhofs und kamen an einem kleinen weiß-grün gestrichenen Gebäude vorbei. Vermutlich die Baracke des Friedhofsaufsehers. Ich stieg über eine niedere Begrenzungsmauer aus Backstein. Dahinter lag der neuere Teil des Friedhofs, auf dem auch Dad begraben war. Zak folgte mir.
    Obwohl der Oktober nach dem brüllend heißen texanischen Sommer langsam etwas kühleres Wetter brachte, war es noch immer so schwül, dass die Luft sich wie flüssig anfühlte. Der helle Mondschein tauchte den Friedhof in ein bläuliches Licht und ließ die Grabsteine lange, unheimliche Schatten aufs Gras werfen.
    Ich holte tief Luft, roch den salzigen Windhauch, der vom Meer herüberwehte und bekam eine Gänsehaut. Ich rieb mir die Arme. Obwohl ich wusste, dass der Strand fast eine Meile weit entfernt lag, machte der Geruch mich nervös. Seit ich denken konnte, hasste ich den Strand. Warum das so war, wusste ich nicht. Mom nannte das eine Kindheitsphobie. Doch das Gefühl hatte mit den Jahren nicht abgenommen. Entschlossen, meiner irrationalen Angst zu trotzen, zog ich den Reißverschluss der Windjacke hoch und strich mir das Haar aus dem Gesicht.
    Zak griff nach meiner Hand. »Alles in Ordnung?«
    »Ja. Alles klar«, log ich. Ich schlang meine Finger in seine und drückte Zaks Hand. »Danke, dass du mit mir den ganzen langen Weg bis nach Galveston gefahren bist. Das ist wirklich nett.«
    »Ich will einfach nur, dass es dir besser geht, Babe.« Er stellte die Gitarre ab, umarmte mich und gab mir einen langen, zärtlichen Kuss. Mir wurden die Knie weich. Zaks warme Lippen schmeckten nach Whiskey. Einen Moment lang vergaß ich sämtliche Geräusche, Stimmen und Halluzinationen.
    Doch plötzlich sah ich aus dem Augenwinkel im Schatten der Bäume am Friedhofszaun eine Bewegung. Ganz deutlich hörte ich einen Zweig knacken. Ich machte mich von Zak los und starrte mit angehaltenem Atem in die Dunkelheit unter den Ästen. Ich lauschte.
    Zak trat in mein Blickfeld. »Was ist denn?«
    »Pssst. Hör doch mal.«
    »Was?«
    »Pssst.«
    Zitternd suchte ich mit den Augen die Schatten ab. Das Gefühl, beobachtet zu werden, wurde übermächtig. So als würden mir Insekten unter die Haut kriechen. An Zaks große Hand geklammert lauschte ich. Dads Gitarre hielt ich so fest, wie ich nur konnte.
    Nichts.
    Keine Bewegung und kein Geräusch – abgesehen von meinem wild schlagenden Herzen und dem Rauschen in meinem Kopf.
    Womit sich die Liste meiner Verrücktheiten noch um Verfolgungswahn verlängerte.
    Ich atmete tief durch und ließ Zaks Hand los. »Es war nichts. Bloß meine Nerven, glaube ich.«
    Zak hatte mir gerade zum ersten Mal einen Blick zugeworfen,der sagte, ich sei nicht ganz dicht. Zumindest hatte ich ihn zum ersten Mal dabei ertappt.
    Fest entschlossen, mich nicht noch einmal nach den Bäumen umzuschauen, blinzelte ich die Tränen aus den Augen, nahm die Gitarre und ging weiter zu der Ecke, in der Dad begraben war.
    In diesem Teil des Friedhofs gab es nur einen einzigen Grabstein aus schwarzem Granit. Deshalb war Dads Grab leicht zu finden. In der auf Hochglanz polierten Oberfläche des Steins konnte man sich spiegeln. Ein paar Schritte entfernt blieb ich stehen und setzte mich mit Dads Gitarre im Arm auf eine Bank. Mein Bauch rumorte. Wenn ich zu nahe heranging, würde ich zusammenklappen, das wusste ich. Zak ließ sich neben mich auf die Bank fallen und schraubte die Whiskeyflasche auf.
    »Willst du?« Er hielt mir die Flasche hin. Der Whiskey
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