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Seelenflüstern (German Edition)

Seelenflüstern (German Edition)

Titel: Seelenflüstern (German Edition)
Autoren: Mary Lindsey
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ihr kommen.«
    Nicht das schon wieder. Ich beugte mich vor und tat, als würde ich in der Außentasche meines Rucksacks etwas suchen. Auf Diskussionen mit Mom konnte ich im Augenblick gut verzichten. Ob nun eingebildet oder nicht, nach der Sache mit dem unsichtbaren Schwarzen Mann – nein, mit dem Grusel kind – in der Mädchentoilette hatte ich überhaupt keine Lust auf einen Streit. Anscheinend wurde ich tatsächlich verrückt.
    Ich schloss den Sicherheitsgurt, stellte die Sitzlehne nach hinten und machte die Augen zu.
    Wie flimmernde Schnappschüsse blitzten Bilder des Friedhofs in Galveston vor mir auf, auf dem Dad begraben war. Als ich die Augen öffnete, verschwanden sie.
    Mit der Hand am Zündschlüssel starrte Mom mich an. »Alles in Ordnung, Lilian?«
    »Ja, alles klar, Mom. Ich möchte einfach nur nach Hause und duschen, bevor Zak mich abholt. Wir feiern meinen Geburtstag.«
    Mom ließ den Wagen an. »Es tut mir wirklich leid, dass ich heute Abend arbeiten muss, Lilian. Aber ich mache es am Wochenende wieder gut.«
    »Kein Problem, Mom. Wirklich.« Und so war es auch. Dies war mein erster Geburtstag ohne Dad, und mit Zak zusammen zu sein, würde es leichter machen.
    Erneut schloss ich die Augen, und sofort waren die Bilder wieder da. Das Friedhofstor; Dads Grabstein; ein hohes keltisches Kreuz; ein marmorner Engel mit zersprungenem Gesicht; ein großer, schmaler Typ. Der Typ lächelte. Ich mochte ihn. Ich vermisste ihn.
    Ich schnappte nach Luft und schlug die Augen auf.
    Mom starrte geradeaus und konzentrierte sich auf die Straße.
    Kein Zweifel – ich wurde wahnsinnig. Erst die Stimmen und jetzt auch noch Halluzinationen. Dad hatte mir dieses Jahr also doch etwas geschenkt: seine Schizophrenie.
    »Alles Gute zum Geburtstag, Lilian«, murmelte ich.

Z  W E I

    I ch bat Zak, die Reservierung fürs Abendessen wieder streichen zu lassen. Stattdessen holte er uns Sandwiches aus meinem Lieblings-Deli. So ein Picknick auf dem Wohnzimmerfußboden war doch die perfekte Geburtstagsparty. Besonders nach einem Tag wie diesem.
    »Wollen wir uns unter diese gigantische Eiche setzen?« Zak zeigte auf den Stützbalken unter der Zimmerdecke. Er breitete auf dem Fußboden eine Decke aus. »Schön schattig hier.«
    Im Schneidersitz ließ ich mich auf einer Ecke der Decke nieder. Zak nahm ein Sandwich aus der Tüte. »Rauchfleisch für mich.« Er zog ein weiteres heraus. »Roast Beef für die Dame.«
    Ich wickelte mein Sandwich aus und legte es auf eine Serviette. »Danke, dass du heute Abend kein großes Geburtstags-Tamtam veranstaltest.«
    »Willst du reden?« Zak öffnete eine Coladose und stellte sie neben mein Knie.
    Ich biss in mein Sandwich und schüttelte den Kopf. Dass ich schon seit Tagen ein seltsames Rauschen hörte, wusste er. Aber die Sache mit der Stimme war etwas anderes. Noch brachte ich es nicht fertig, ihm davon zu erzählen.
    Schulterzuckend machte er sich über sein Essen her.
    Das Einwickelpapier gehörte zu meinen Lieblingsmaterialien. Es war dünn und geschmeidig, dabei aber doch fest genug zum Falten. Mit geschlossenen Augen machte ich den ersten Knick und dann quer dazu den zweiten. Wie von selbst glitten meine Finger über die wachsige Oberfläche. Nach oben knicken, dann nach unten, eine Ecke in die Falte klemmen. Jedes Stück Papier hatte seine eigene Persönlichkeit und gab damit die Form vor. Das Sandwichpapier war eine Blume. Ein weiteres Blütenblatt entstand. Ich spürte, wie meine Anspannung in die präzisen Knicke floss und wurde langsam etwas lockerer. Etwas ganz Gewöhnliches verwandelte sich unter meinen Fingern in etwas Schönes. Als ich die Augen öffnete, lächelte Zak mich an. Ich musste einfach zurückgrinsen.
    »So was machst du oft.« Er nickte in Richtung meiner Hände. »Figuren aus Papier.«
    Ich drehte die Blume in der Hand und faltete ein weiteres Blütenblatt. »Es beruhigt mich. Ich habe damit angefangen, als ich zwölf war. Als Dad zum ersten Mal ins Krankenhaus musste.«
    Zak steckte sich ein paar Chips in den Mund und sah zu, wie ich noch ein Blütenblatt zurechtbog.
    »Hat dir das jemand beigebracht? Oder hast du es online gelernt oder vielleicht aus einem Buch?«
    Ich bearbeitete die Spitze eines der inneren Blütenblätter, damit es sich wölbte. »Nein. Irgendwie wusste ich schon immer, wie man das macht.«
    »Bitte hilf mir!« Die Kinderstimme war direkt neben mir.
    Ich sprang auf, schlug die Hand vor den Mund und wich mit klopfendem Herzen zurück.
    Zak stand
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