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Seelenflüstern (German Edition)

Seelenflüstern (German Edition)

Titel: Seelenflüstern (German Edition)
Autoren: Mary Lindsey
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anrufen musste. O bitte nicht, stöhnte ich innerlich. Wenn ich sie jetzt anrief, würde ich mir das ewig anhören müssen. Ich hätte mir von ihr das Autofahren beibringen lassen sollen, als sie es mir im letzten Schuljahr angeboten hatte. Nein. Verrückte gehörten nicht hinters Steuer. Sonst endeten sie so wie Dad.
    Nachdem ich den letzten Rest Whiskey weggekippt hatte, rüttelte ich an Zaks Schulter.
    »Zak, wach auf. Zeit zu gehen.« Keine Reaktion. »Los,Zak. Komm.« Ich legte die Hände auf seine Wangen und schüttelte seinen Kopf hin und her. Er gab ein paar Schnarchlaute von sich, machte aber nicht mal die Augen auf. Verdammt.
    Blieb also nur Mom. Ich zog das Handy aus der Tasche. Großartig. Kein Empfang. Aber in der Nähe des Eingangstors konnte es klappen. Von dort hatte ich ihr vorher die SMS geschickt.
    Mit Dads Gitarre beladen marschierte ich durch den älteren Teil des Friedhofs Richtung Tor. Das keltische Kreuz, an dem ich vorbeiging, kam mir seltsam bekannt vor. Es war gigantisch – mindestens vier Meter hoch – und überragte die Grabsteine im Umkreis wie ein Wächter, der die Toten beschützte. Als ich kurz darauf vor einem Engel mit zersprungenem Gesicht stand, wusste ich plötzlich, woher das Gefühl kam, dies alles schon einmal gesehen zu haben: Die Bilder waren erst vor ein paar Stunden durch meinen Kopf geflimmert – Bilder von dem Kreuz, dem Engel, aber auch von dem Jungen, der eigentlich nur eine Halluzination sein konnte.
    Das Moos, das aus einem Riss im weißen Marmorgesicht des weiblichen Engels sprießte, ließ ihn in seiner starren Trauer noch kummervoller wirken. Ich strich über das stoppelige Grünzeug, dann beugte ich mich hinab zum Sockel der Statue und las die Inschrift. ROSE 1831–1875. Der Marmor war so verwittert, dass ich die Buchstaben nur mühsam entziffern konnte. BIS WIR UNS WIEDERSEHEN.
    Plötzlich hatte ich das seltsame Gefühl, dass irgendetwas von mir erwartet wurde. Bloß was? Oder war das nur ein weiteres Anzeichen von fortschreitendem Wahnsinn? Verdammt, vielleicht lag ich ja in Wirklichkeit daheim im Bett und wachte gleich aus diesem Albtraum auf.
    »Suchst du jemanden?« Die Stimme war tief und sanft. Und sehr nahe.
    Ich erschauerte, schrie aber nicht. Nur ein paar Schritte entfernt stand der Kerl aus meiner Fantasie. Lässig lehnte er an einem halb verfallenen Mausoleum. Inzwischen war ich mir nicht mehr so sicher, dass ich ihn mir nur einbildete. Dafür sah er zu echt aus und benahm sich auch so. Und wie ich auf seine Berührung reagiert hatte, war eindeutig keine Halluzination gewesen. Die Erkenntnis, dass dies vielleicht doch kein Traum war, traf mich wie ein Feuerstrahl. Wie eine Welle rollte die Angst über mich hinweg und ließ meine Haut prickeln. Falls ich nicht träumte, war das hier vielleicht noch schlimmer, als verrückt zu werden.
    »Ich wusste, dass du kommst, Rose.«
    In der Hoffnung, er würde zusammen mit meiner Angst verschwinden, kniff ich die Augen zu und öffnete sie erst nach einer ganzen Weile wieder. Er stand immer noch da.
    Besorgt musterte er mich. »Du hast tatsächlich Angst. Du tust nicht nur so. Anscheinend erinnerst du dich wirklich nicht an mich.«
    »Stimmt.«
    »Aber du wusstest, wo du mich findest.«
    »Nein, ich habe bloß …« Ich sah den Engel an und wich zurück.
    »Rose, warte.« Er warf sein Haar zurück, doch der salzige feuchte Wind wehte es ihm sofort wieder ins Gesicht. »Ich … wow. Also, ich weiß nicht recht, wie es nun weitergehen soll. So was ist uns noch nie passiert. Und ehrlich gesagt, habe ich auch von anderen noch nie gehört, dass es ihnen schon mal so gegangen ist.«
    Ich schlang die Arme um Dads Gitarre und drückte siean mich. »Kann schon sein. Mir passieren dauernd Sachen, die anderen Leuten nicht passieren.«
    »Lass mich raten.« Er lächelte schwach. »Du glaubst, du bist übergeschnappt. Du meinst, du hörst Stimmen.«
    Ich nickte.
    Alden kam einen Schritt näher. »Es stimmt beides nicht.« Er legte mir die Hand auf die Schulter. Ein Gefühl von Wärme strömte von der Stelle, an der er mich berührte, in meine Brust.
    »Du bist nicht verrückt. Und wenn du mich lässt, beweise ich es dir.«
    Eine unerklärliche Ruhe breitete sich in mir aus. Ich atmete tief durch. »Aber was ist mit den Stimmen?«
    »Die sind echt. Deshalb bin ich ja hier. Um dir zu helfen.«
    Sicher ein Trick. Ich riss mich los und wich ein paar Schritte zurück.
    Der Typ schien zu glauben, dass es meine Stimmen wirklich
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