Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seelenflüstern (German Edition)

Seelenflüstern (German Edition)

Titel: Seelenflüstern (German Edition)
Autoren: Mary Lindsey
Vom Netzwerk:
zuckte zusammen. »Nein. Das ist alles nur Einbildung.« Die Handballen fest auf die Augen gedrückt, holte ich tief Luft. »Du verschwindest jetzt auf der Stelle«, befahl ich. Mein eigenes Hirngespinst würde mir doch wohl gehorchen, oder? »Wenn ich gleich die Augen aufmache, bist du weg. Kapiert? Also auf drei. Eins, zwei, drei.«
    Als ich die Hände von den Augen nahm, starrte ich direkt in das Gesicht des Kerls, der neben mir hockte.
    »Shit!« Ich sprang auf und wich zurück.
    »Rose …«
    »Hör auf, mich so zu nennen! Ich heiße nicht Rose. Und ich habe gesagt, du sollst abhauen.« Wie ein Boxer suchte ich Deckung hinter meinen Fäusten.
    Er runzelte die Stirn. »Du heißt gar nicht Rose?«
    Nun ja, irgendwie schon. Genau genommen. In der Nacht vor meiner Geburt hatte meine Mom geträumt, sie hätte eine Tochter namens Rose. Sie hatte das für eine Art Botschaft gehalten, doch sie und Dad hatten sich bereits auf Lilian geeinigt und mir deshalb Rose einfach als zweiten Vornamen verpasst. Aber dieser dahergelaufenen Halluzination würde ich das auf keinen Fall auf die Nase binden. Und abgesehen davon hatte ich meinen zweiten Vornamen nie einer Menschenseele verraten. Ich hasste ihn.
    »Nein. Ich heiße nicht Rose.«
    »Komisch … Aber dass heute dein siebzehnter Geburtstag ist, stimmt doch, oder?«
    Einen Moment lang war ich verblüfft. Aber hey, schließlich hatte ich ihn mir ja selbst eingebildet. Logisch dass er alles wusste, was ich auch wusste. Ich beschloss, das Spiel mitzuspielen. »Ja. Ich habe heute Geburtstag. Warum?«
    Der Junge strich sich eine Haarsträhne aus den Augen und seufzte tief. »Da bin ich aber froh. Ich dachte schon, ich sei zu früh dran. Weißt du, als ich gespürt habe, wie deine Seele mich rief, bin ich gleich gekommen. Dabei hatte ich noch gar nicht mit dir gerechnet. Ich bin erst siebzehn. Normalerweise bin ich mindestens einundzwanzig, wenn du erscheinst. Deshalb dachte ich, ich hätte noch vier Jahre, bevor du auftauchst. Vielleicht sogar mehr. Und als du nichts mit mir zu tun haben wolltest, hatte ich Angst, dass etwas nicht stimmt.« Er lächelte. »Für deinen Humor bist du nicht grade bekannt, Rose. Eine Stimmungskanone warst du nie.«
    »Ja. Schon klar. Meine Seele hat dich gerufen.« Wenn der Kerl mich nicht ständig Rose genannt hätte, hätte ich diese Halluzination beinahe unterhaltsam finden können.
    Er machte ein bekümmertes Gesicht. »Aber ja doch.«
    Damit war meine Schmerzgrenze erreicht. »Pass auf. Wer immer du bist, das …«
    »Alden. Mein Name ist Alden, Rose. Aber das weißt du ja.« So wie er mich ansah, hätte man denken können, er würde gerade Zeuge einer Massenkarambolage.
    »Okay … Alden. War nett, dich kennenzulernen. Aber es wird Zeit, dass diese Spinnerei, oder was immer es ist, wieder aufhört. Verzieh dich.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht willst du ja einen anderen Wächter. Sag es einfach, dann wechselt man mich aus. Ich könnte es dir nicht mal übel nehmen. Wenn man bedenkt, wie du gestorben bist.«
    Na besten Dank. Damit war auf der nach oben offenen Gruselskala eine glatte Zehn erreicht. »Ich bin gestorben?«
    »Ja, Rose. Ja.«
    »Zum Totlachen. Und wie ist das passiert?«
    »Du bist ertrunken. Genau hier auf Galveston Islandbeim Großen Sturm, dem Hurrikan von 1900. Damals sind hier auf der Insel Tausende Menschen umgekommen.«
    Dass ich eine so lebhafte Fantasie hatte, war mir bis jetzt gar nicht klar gewesen. Ich betrachtete Dads Grabstein. Waren alle Halluzinationen so?
    »Ich werde nicht so enden wie er.« Mit zittrigen Fingern zeigte ich auf Dads Grab. »Bitte verschwinde.«
    »Du bist ganz eindeutig noch nicht bereit. Wenn du so weit bist, weißt du ja, wo du mich findest.« Er legte seine warmen Hände links und rechts an meinen Hals. Sofort durchzuckte mich eine Art elektrischer Schlag, der jeden einzelnen Nerv in meinem Körper zum Kribbeln brachte. Ich schnappte nach Luft. Alden wich lächelnd ein paar Schritte zurück. »Schön, dass du wieder da bist.« Damit verschwand er lautlos im Schatten der Bäume.
    Es dauerte eine Weile, bis mein Pulsschlag auf Normaltempo sank und ich wieder ruhig atmen konnte. Ich legte die Hände auf die Stellen, an denen Alden meinen Hals berührt hatte.
    Bloß weg von hier. Sofort. Hier auf dem Friedhof wurde alles nur noch schlimmer.
    Zak lag ausgestreckt auf der Bank. Die Whiskeyflasche entdeckte ich neben ihm auf dem Boden. Er war so hinüber, dass ich wohl meine Mom
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher