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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Jugendliche in hochgekrempelten Jeans und schmutzigen, verschlissenen Pullovern auf einem Grashügel. Als Óðinn es genauer musterte, sah er, dass die Jungen so unterschiedlich aussahen, dass sie kaum aus derselben Familie stammen konnten. Auf den ersten Blick kam ihm das Gesicht des einen bekannt vor, doch je genauer er es ansah, umso mehr ließ dieser Eindruck nach. Bestimmt nur eines dieser typisch rundlichen isländischen Gesichter.
    »Ich habe keinen blassen Schimmer. Róberta hat nie auf solche Fragen geantwortet, und ich wollte sie nicht bedrängen. Ich habe sie einfach in Ruhe ausschneiden und aufhängen lassen.«
    Óðinn wandte seinen Blick von dem Foto ab und streckte sich. Es war zwecklos, den Sinn dieses Mosaiks zu ergründen – die Einzige, die etwas über die Bedeutung der Wanddekoration wusste, lag in einem Sarg auf dem Friedhof in Grafarvogur. Er kümmerte sich besser um die Akten. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Diljá ihn immer noch beobachtete.
    »Hatte sie ein bestimmtes Ablagesystem?«, fragte er.
    »Äh … ja, niemand war so gut organisiert wie sie. Aber ich habe keine Ahnung, welche Logik dahintersteckt.« Sie verstummte und starrte Óðinn mit ihren großen blauen Augen an. »Wahrscheinlich eine ziemlich komplizierte.«
    »Hoffentlich nicht.«
    »Warum interessierst du dich dafür? Sollst du ihre Sachen durchsehen?«, fragte sie und grinste breit. »Cool, ich war mir nämlich sicher, dass ich dazu verdonnert würde.«
    »Freu dich nicht zu früh.« Óðinn schlug einen Aktenordner auf und blätterte ihn schnell durch. »Ich soll mich nur um das Erziehungsheim Krókur kümmern, den Rest muss wohl jemand anders übernehmen. Vielleicht du?«
    Diljás Grinsen verschwand. Ihre rotgeschminkten Lippen wurden zu einem geraden Strich, als sie ihr Kinn vorstreckte.
    »Ich würde dieses Projekt nicht übernehmen, an deiner Stelle wäre ich auf der Hut.«
    Er legte den Ordner auf den Tisch, weil es darin um das Heim ging, und griff nach dem nächsten.
    »Na ja, wir ertrinken ja nicht gerade in spannenden Aufgaben«, erwiderte er. Die Behörde war im Lauf der Jahre immer unwichtiger geworden. Inzwischen wurden die Projekte, für die sie früher zuständig gewesen waren, zufriedenstellend von anderen erledigt, und sie kümmerten sich nur noch um die Reste, die bei den großen staatlichen Behörden liegenblieben oder die Heimir den Leitern der Ministerien bei ihren monatlichen Meetings abschwatzte.
    »Trotzdem. Ich hätte keine Lust, mich mit ehemaligen Brutalo-Kids auseinanderzusetzen, auch wenn man damals nicht gut mit ihnen umgegangen ist. Das ist alles schon so lange her, und die Jungs waren nun wirklich keine Unschuldsengel wie die in den anderen Heimen.«
    »Brutalo-Kids ist nicht das richtige Wort, finde ich.« Óðinn stellte den Ordner, der nichts mit Krókur zu tun hatte, zurück und nahm den nächsten. »Soweit ich weiß, handelte es sich nur um Bagatellen. Das waren ja bloß Kinder.«
    Diljá schnaubte verächtlich. »Das sagt ja wohl gar nichts. Kinder können ganz schön brutal sein. Ich habe letztens eine Diskussion im Internet verfolgt über einen Jungen in Nordisland, der zwei Kinder umgebracht haben soll. Der war noch nicht mal dreizehn! Vielleicht hat man früher solche Kids in dem Heim untergebracht. Also, ich würde mich weigern.«
    »Da mache ich mir keine Sorgen. In Krókur waren keine Mörder, glaub mir. Das wäre längst bekanntgeworden.«
    Diljás Augen wanderten zu dem Schreibtisch in Róbertas Box.
    »Sie hat ständig Selbstgespräche geführt«, sagte sie und warf Óðinn einen raschen Blick zu. »Ich meine Róberta.« Sie zögerte einen Moment und sprach dann weiter: »Das meiste war so undeutlich, dass ich kein Wort verstanden habe, manchmal hat sie nur so vor sich hin gemurmelt, aber ein paarmal konnte ich jedes Wort verstehen. Und das war echt total strange.«
    »Und?«, fragte Óðinn, der in die Akten vertieft war, gedankenversunken. Diljás Andeutungen interessierten ihn nicht. Sie kannten sich kaum, und er hatte ihr Gerede an der Kaffeemaschine über Leute, die er erst recht nicht kannte, oder Politiker, die ihr auf die Nerven gingen, noch nie gemocht. Und er war immer noch froh, dass er bei der Betriebsfeier vor zwei Monaten nicht bei ihr im Bett gelandet war. Sie war jedenfalls nicht abgeneigt gewesen, und damals war ihm eine Nacht mit ihr ziemlich verlockend erschienen. Aber er hatte aufs Klo gemusst, und als er zurückgekommen war, hatte sie ihr Interesse
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