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Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)

Titel: Seelen im Eis: Island-Thriller (German Edition)
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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bereits auf den zweiten alleinstehenden Kollegen verlagert. An den darauffolgenden Tagen hatten sich Diljá und dieser Typ so verschämt verhalten, dass alle aufgeatmet hatten, wenn einer von ihnen nicht da war. Wenn Óðinn eine neue Frau finden würde, dann bestimmt nicht am Arbeitsplatz. Wobei die Chancen ohnehin gering waren. Als alleinerziehender Vater einer elfjährigen Tochter, weder ein besonderer Frauentyp noch steinreich, zählte er gewiss nicht zu den heißesten Junggesellen der Stadt. Aber er wollte sich nicht beklagen. Manchmal genügte nämlich die Erwähnung seiner Tochter, um eine flüchtige Bekanntschaft nach einen One-Night-Stand frühmorgens in die Flucht zu schlagen.
    »Ich glaube, dieses Projekt hat sie in den Tod getrieben. Da stimmt was nicht, und du solltest dir gut überlegen, ob du es übernehmen willst«, insistierte Diljá.
    »Das habe ich schon«, sagte Óðinn. Er wollte das Gespräch nicht unnötig in die Länge ziehen und sie darauf hinweisen, dass sich Róbertas Krankheit schon lange vor ihrer Beschäftigung mit dem Schicksal der Jugendlichen in Krókur bemerkbar gemacht hatte. Ob diese heikle Aufgabe der Tropfen gewesen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte, stand auf einem anderen Blatt.
    Óðinn war jedenfalls davon überzeugt, dass dieses Projekt keinen negativen Einfluss auf ihn haben würde, er würde sich nicht auch noch mit den Problemen anderer belasten, denn er hatte selbst genug. Nur, dass er im Gegensatz zu den armen Kerlen in Krókur für sein Schicksal selbst verantwortlich war. Mit vierundzwanzig hatte er Lára kennengelernt, die zwei Jahre älter war als er. Sie waren zusammengezogen, hatten geheiratet und ein Jahr später eine Tochter bekommen. Nach Rúns Geburt war ihm endgültig klargeworden, dass Lára und er keine gemeinsame Zukunft hatten. Er hatte sie und ihre frisch getaufte Tochter verlassen, wovon Lára nicht sonderlich geschockt gewesen war. Sie hatten sich an die veränderten Bedingungen gewöhnt, und das Leben war seinen gewohnten Gang gelaufen – allerdings wesentlich schwieriger für Lára als für ihn.
    Vor gut einem halben Jahr war dann die Katastrophe über ihn hereingebrochen. Lára war aus dem Fenster ihrer Wohnung gestürzt, und seitdem hatte sich sein Leben von Grund auf geändert. Der Wochenendvater Óðinn gehörte der Vergangenheit an, nun reichte es nicht mehr, jedes zweite Wochenende mit Rún ins Kino oder einen Hamburger essen zu gehen. Er hatte seinen Job gewechselt, um sich besser um seine Tochter kümmern zu können, und sein bequemes, perfektes Leben war vorbei. Er hatte sich noch nicht richtig an die Veränderung gewöhnt, bekam erst allmählich wieder festen Boden unter den Füßen.
    »Ich mache keine Scherze. Ich habe Róberta ganz oft seufzen und stöhnen gehört, als würde die Belastung sie erdrücken.« Als Diljá merkte, dass sich Óðinn nicht aus der Ruhe bringen ließ, fügte sie etwas verhaltener hinzu: »Manchmal war es, als würde sie mit jemandem reden. Allerdings nicht mit mir, das war klar.«
    »Sie hat eben Selbstgespräche geführt oder vor sich hin gemurmelt. Das kommt schließlich schon mal vor, selbst wenn man ganz klar im Kopf ist«, meinte Óðinn. Eigentlich glaubte er nicht, dass Herzkrankheiten mit Wahnvorstellungen einhergingen, aber was wusste er schon? Er verfluchte sich, dass er nicht den Mund gehalten hatte, sonst hätte Diljá sich bestimmt wieder hingesetzt und ihn in Ruhe gelassen.
    Doch als sie erneut das Wort ergriff, war der Kleinmädchenton verschwunden, den sie sich Männern gegenüber angeeignet hatte, und sie sagte mit ernster, entrüsteter Stimme:
    »Ich weiß genau, wovon ich spreche! Schließlich kannte ich sie seit fast zwei Jahren. Sie war früher nicht so. Das war nicht normal, und ihre Veränderung hing mit diesem Projekt zusammen. Du kannst glauben, was du willst, aber ich habe dich gewarnt.«
    Ohne Óðinns Reaktion abzuwarten, setzte sie sich wieder an ihren Schreibtisch. Natürlich würde sie durch die dünne Trennwand hören, was er sagte, aber er hielt lieber den Mund und beschäftigte sich weiter mit den Akten. Als er schließlich auf einen zweiten Ordner über Krókur stieß, war es zu spät, das Gespräch wiederaufzunehmen. Fast vermisste er Diljás Gequatsche, denn die Lektüre war ziemlich unangenehm. Auf der ersten Seite befand sich eine Kopie des Fotos, das ihm an der Wand aufgefallen war. Darunter hatte Róberta zwei Namen geschrieben und zwei Kreuze
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