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Seelen der Nacht

Seelen der Nacht

Titel: Seelen der Nacht
Autoren: D Harkness
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von der Zufahrt her.
    »Wenn ihr möchtet!«, rief ich zurück. »Danke!«
    Rob O’Neil schwenkte den Arm nach links, Sammy seinen nach rechts, und sofort hatten sie beneidenswert lässig alle Kürbisse gelöscht. Die beiden Jungen radelten davon, rücksichtslos über alle Schlaglöcher rumpelnd und geleitet vom Mondschein und dem knospenden sechsten Sinn der jugendlichen Hexer.
    Ich schloss die Tür und lehnte mich stöhnend dagegen. »Meine Füße bringen mich noch um.« Ich schnürte die Stiefel auf, zerrte sie mir von den Füßen und schleuderte dann den Hut auf die Treppe.
    »Die Seite aus Ashmole 782 ist verschwunden«, erklärte Matthew gelassen und lehnte sich entspannt gegen den Treppenpfosten.
    »Und Moms Brief?«
    »Ist auch weg.«
    »Dann wird es Zeit.« Ich löste mich von der alten Tür, und das Haus stöhnte leise auf.
    »Mach dir einen Tee, dann treffen wir uns im Familienzimmer. Ich hole schon mal die Tasche.«

    Er erwartete mich auf dem Sofa, die Aktentasche verschlossen zu seinen Füßen, während die silberne Schachfigur und der Ohrring auf dem Couchtisch bereitlagen. Ich reichte ihm ein Glas Wein und setzte mich zu ihm. »Das ist der letzte Wein.«
    Matthew sah auf meine Tasse. »Und für dich ist das der letzte Tee.« Er fuhr sich nervös mit den Händen durchs Haar und holte tief Luft. »Ich hätte dich gern weniger weit in die Vergangenheit geschickt, wo es nicht so viel Tod und Krankheit gab«, begann er beinahe zaghaft, »und an einen näheren Ort , an dem es Tee und Toiletten gibt. Aber ich glaube, es wird dir gefallen, wenn du dich erst eingewöhnt hast.«
    Ich wusste immer noch nicht, wann und wo es sein sollte.
    Matthew beugte sich vor und entriegelte die Tasche. Als er sie öffnete und sah, was obenauf lag, seufzte er erleichtert auf. »Gott sei Dank. Ich hatte schon befürchtet, dass Ysabeau mir das Falsche geschickt haben könnte.«
    »Du hast die Tasche gar nicht aufgemacht?« Wieder einmal überraschte mich seine Selbstbeherrschung.
    »Nein.« Matthew zog ein Buch heraus. »Ich wollte nicht allzu viel daran denken. Nur für alle Fälle.«
    Er reichte mir das Buch. Es hatte einen schwarzen Ledereinband mit silbernen Bordüren.
    »Es ist schön«, sagte ich und strich mit dem Finger über den Einband.
    »Mach es auf.« Matthew wirkte nervös.
    »Werde ich dann wissen, wohin wir reisen?« Jetzt, wo ich das Objekt in der Hand hielt, fühlte ich mich eigenartig unsicher.
    »Ich glaube schon.«
    Der Einband öffnete sich quietschend, und mir stieg der unverkennbare Geruch von Papier und alter Tinte in die Nase. Es gab kein marmoriertes Vorsatzpapier, kein Exlibris, keine zusätzlichen leeren Seiten, wie sie die Sammler im achtzehnten oder neunzehnten Jahrhundert in ihre Bücher eingelegt hatten. Und der Umschlag war schwer, was darauf hindeutete, dass sich unter dem glatt gestreckten Leder ein Holzbrett verbarg.

    Auf der ersten Seite standen in dicker schwarzer Tinte zwei Zeilen, die in der engen, spitzen Handschrift des ausgehenden sechzehnten Jahrhunderts verfasst waren.
    »Meinem lieben, theuren Matthew«, las ich laut. »Wer liebte je und nicht beim ersten Blick?«
    Die Widmung war ohne Unterschrift, aber sie klang vertraut.
    »Shakespeare?« Ich sah zu Matthew auf.
    »Nicht ursprünglich«, erwiderte er angespannt. »Will hat geklaut wie ein Rabe, wenn es um anderer Leute Aphorismen ging.«
    Ich wendete langsam das Blatt.
    Es war kein gedrucktes Buch, sondern ein Manuskript, das in derselben kühnen Handschrift verfasst war wie die Widmung. Ich beugte mich darüber, um die Worte zu entziffern.
    Beende deine Studien, Faustus, und beginne
Die Tiefen dessen, was du kündest, zu erkunden.
    »Jesus«, hauchte ich und klappte das Buch zu. Meine Hände flatterten.
    »Er wird sich totlachen, wenn er hört, wie du reagiert hast«, kommentierte Matthew.
    »Ist es das, wofür ich es halte?«
    »Wahrscheinlich.«
    »Woher hast du es?«
    »Kit hat es mir überlassen.« Matthew legte die Hand auf den Einband. »Faustus war immer mein Lieblingsstück.«
    Jeder Alchemiehistoriker kannte Christopher Marlowes Theaterstück über den Dr. Faustus, der seine Seele im Tausch gegen Wissen und Macht an den Teufel verkauft hatte. Ich öffnete das Buch wieder und legte den Finger auf die Widmung, während Matthew fortfuhr:
    »Kit und ich waren befreundet  – eng befreundet  –, und das zu einer Zeit, als es nur wenige Geschöpfe gab, denen man trauen konnte. Wir machten damals einen ziemlichen
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