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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht
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mich wieder erkannte, bevor sein Blick wieder neutral wurde.
    »Hallo Abigail«, sagte er, inzwischen ziemlich gelassen. »Jex.« Er dachte eine Sekunde darüber nach. »Guter Name für Scrabble.«
    Geoff, der mit den Gedanken woanders war und offensichtlich nach diesem Wortwechsel nicht begriffen hatte, dass wir uns nicht fremd waren, sagte: »Abigail hat heute Abend hier Cello gespielt. Sie möchte gern etwas über das Projekt hören.«
    »Marcus« sah mich skeptisch an.
    »Entschuldigt mich«, sagte Geoff und eilte wieder davon. Er war sich nicht bewusst, auf welchem Minenfeld er uns zurückließ. Grace war bei weitem nicht so begriffsstutzig und sagte mit verengten Augen: »Kennt ihr beide euch schon oder so?«
    Hier war Schnodderigkeit gefragt, beschloss ich, »Ich fürchte ja. Marcus hat mir einmal mit einem glühend heißen Feuerhaken ein Zeichen auf die Stirn gebrannt. Obwohl er damals noch nicht Marcus hieß.«
    »Abigail hat mir ihre Haare in einem Umschlag geschickt«, sagte er fast lächelnd. »Damals hieß sie noch nicht Jex.«
    Grace sah mit hochgezogenen Augenbrauen von einem zum anderen. Keine flüchtige Bekanntschaft, ganz klar. »Und wie lange habt ihr euch nicht mehr gesehen?«
    »Dreizehn Jahre«, antworteten wir gleichzeitig, ohne Zeit zum Nachrechnen zu brauchen. Der Anflug eines Lächelns war verschwunden. Wir erinnerten uns beide an den Anlass unseres letzten Treffens: die Hitze in der Kapelle; die Sopranstimme der Schülerin, die auch die letzten von uns zusammenbrechen ließ, das windige Grab. Einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen, dann sagte er, entschlossen darum bemüht, das Gespräch wieder auf sichereren Boden zu lenken: »Dann bist du jetzt eine professionelle Cellistin?« Ich nickte. »Das ist gut - gut, dass du weitergemacht hast.«
    »Es gibt schlimmere Formen der Armut«, sagte ich.
    »Die meisten davon haben Sie sicher gesehen«, sagte Grace zu Marcus.
    »Was ist mit dir?«, fragte ich. »Aus all dem schließe ich, dass du kein professioneller ... äh ... Philosoph bist.«
    »Nein«, sagte er lachend. »Nicht einmal ein Amateur. Ich habe mein Studium nie abgeschlossen.«
    »Ah.«
    »Ich war in den letzten fünf Jahren im Senegal. Ich bin erst seit einem Monat wieder zu Hause; ich bin noch dabei, mich einzugewöhnen.«
    »Wieso sind Sie zurückgekommen?«, fragte Grace.
    »Ich war zu lange dort. Sie brauchten jemanden, der jung und enthusiastisch ist.«
    »Mir erscheinen Sie jung genug«, sagte sie und sandte Signale aus wie ein Geigerzähler.
    »Außerdem, je länger man weg ist, desto schwieriger ist es, sich zu Hause wieder einzugewöhnen. Nach ein paar Wochen im Büro, wo Umfragen darüber geplant werden, inwieweit wir im öffentlichen Bewusstsein verankert sind, und erörtert wird, ob wir im Personalklo eine neue Seifenschale brauchen, werde ich mir wünschen, wieder dort zu sein.«
    Im Hintergrund konnte ich sehen, wie Geoff sich durch die Menschenmenge zu uns schlängelte und ab und zu stehen blieb, um rechts und links Leute zu begrüßen. »Marcus, kann ich dich mal entführen?«, rief er, als er in Hörweite war, und winkte ihn mit einem dünnen Finger zu sich.
    »Entschuldigt mich«, sagte Marcus. »Da muss noch jemand anders an meinen Rohren interessiert sein. Es war schön, dich wieder zu sehen.«
    »Du hast dich kein bisschen verändert«, sagte ich, und das Klischee ließ mich sofort erschaudern.
    »Ach doch, das hab ich«, sagte er mit einem halben Lächeln, bevor er Geoff ins Getümmel folgte.
    Ein herumstehender Kellner bot uns noch mehr Champagner an. »Tja«, sagte Grace, neigte ihr Glas zu meinem und zwinkerte. »Auf die ›ariden Gebiete‹.«
    Ich untersuchte meine Fingernägel, während ich auf das unvermeidliche Verhör wartete.
    »Okay, lass dir nur Zeit.«
    »Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte ich unschuldig.
    »Ach, nun mach mal halblang. Ich hab noch nie so ein verhuschtes Wiedersehen erlebt. Wenn das nicht schmerzhaft war. Was steckt dahinter?«
    Ich lachte nur und genoss ihre Neugier.
    »Er ist einer deiner Ex-Freunde, stimmt‘s?«, fragte sie, etwas zu beiläufig.
    »Wieso? Bist du interessiert?«
    »Vielleicht. Er sieht ganz gut aus. Schöner Körper. Ich wette, er trainiert.«
    Ich sah sie mitleidig an. Der Marcus Radley, den ich gekannt hatte, wäre bereitwillig zehn Meilen zu Fuß gegangen, um irgendwohin zu kommen, aber er hätte nie im Leben trainiert. »Ich dachte, du wärst enthaltsam.«
    »Bin ich auch. Aber ich will nicht zur
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