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Seefeuer

Seefeuer

Titel: Seefeuer
Autoren: Manfred Megerle
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fischte er seine Gitanes aus der Tasche
und steckte sich einen der Glimmstängel zwischen die Lippen, ohne ihn
anzuzünden. Auf halbem Weg zu seinem Wagen klingelte das Handy. Es war Jo.
    »Wann können wir mit Ihnen rechnen, Chef? Es gibt
Neuigkeiten.« Sie schien ihm nicht mehr zu grollen.
    »Eine Stunde, längstens. Etwas Wichtiges?«
    »So lange kann’s noch warten. Sie klingen übrigens
nicht gerade euphorisch, kann das sein? Hat Ihnen der Doc eine Diät verpasst?«
Sie kicherte kleinmädchenhaft.
    »Könnte man so sagen. Jedenfalls ist seit gestern
Weselowskis Handy weg. Geklaut oder verloren.«
    »Also könnte auch ein anderer den Notruf abgegeben
haben?«
    Wolf zögerte mit der Antwort. »Das ist noch nicht
raus.«
    »Wie soll ich das jetzt verstehen? Er selbst hat doch
ein Alibi, oder?«
    »Hat er. Aber das ist auch so eine Sache. Den Namen
seines Begleiters hat er mir ungefragt untergejubelt. Und noch etwas: Das
Nächstliegende bei Handyverlust ist doch die Sperrung der Karte, nicht wahr?«
    »Wie … die Karte ist nicht gesperrt?«
    »Ist eben sehr beschäftigt, der gute Doc.«
    ***
    Um
zehn vor zwölf stand Wolf unschlüssig vor dem Haupteingang des
Kreiskrankenhauses Überlingen und überlegte, ob er Dr. Reichmann so kurz vor
der Mittagspause noch behelligen könne. Dann fiel ihm ein, dass sich die
Pathologin, ähnlich wie Weselowski, ohnehin nicht viel aus Essen machte. Schien
bei Ärzten berufsbedingt zu sein.
    Wenig später schüttelten sich die beiden die Hände.
Seit sie sich vor Jahren auf einem Kongress näher kennengelernt hatten,
arbeitete Wolf bevorzugt mit der erfahrenen Rechtsmedizinerin zusammen. Sie war
ungefähr in seinem Alter, und obwohl äußerlich eher klein und unauffällig, galt
sie doch landesweit als die Koryphäe auf dem Gebiet
der forensischen Medizin. Wolf schätzte vor allem ihren skurrilen Humor, der
sie auch in heiklen Situationen – und solche gab es in ihrem Beruf mehr als
genug – nie verließ.
    »Viel kann ich noch nicht sagen, Leo, schließlich habt
ihr mir das Küken ja erst heute Morgen gebracht.« Sie redeten sich seit Kurzem
mit Vornamen an, behielten das »Sie« aber weiterhin bei.
    »Oh, mir reicht es schon, zu wissen, wann und woran
sie gestorben ist, Franzi – das heißt, wenn das nicht zu viel verlangt ist.«
Wolf lachte etwas verkrampft, die Atmosphäre in der Pathologie schlug ihm jedes
Mal aufs Neue auf den Magen.
    »Unumstößlich ist im Moment nur eines, nämlich dass
das Mädchen mausetot ist. Über alles andere kann ich nur spekulieren. Also: Es
scheint, als sei das Opfer organisch gesund gewesen, wie eine erste, allerdings
unvollständige Untersuchung ergab …«
    »Opfer? Dann müssen wir also von einem Verbrechen
ausgehen?«
    »Nicht so hastig, Leo, lassen Sie mir Zeit. Zunächst
zum ungefähren Todeszeitpunkt: Der Tod ist etwa um Mitternacht eingetreten,
plus/minus eine halbe Stunde. Die Frage nach der Todes ursache ist da schon schwieriger zu beantworten. Nach meinem derzeitigen
Kenntnisstand würde ich auf Herzversagen tippen, vermutlich hervorgerufen durch
die Kombination zweier Stoffe: Alkohol und Drogen. Sie hatte einen
Blutalkoholspiegel von zwei Komma zwei Promille. Dazu brauchte es nicht mal
viel, das Kind wiegt ja nur um die fünfzig Kilo. Was ihr aber den Rest gegeben
haben dürfte, war wohl eine Überdosis Rauschgift. Gegen beides zusammen hatte
ihr Körper keine Chance.«
    »Ertrinken scheidet demnach aus?«
    »Mit Sicherheit. Sie hatte kein Wasser in der Lunge.«
    »Rauschgift – also doch! Der Notarzt hatte bereits so
eine Andeutung gemacht.«
    »Ich habe keine Einstichstellen gefunden, Heroin
scheidet demnach aus. Nach einem ersten Schnelltest übrigens auch Speed und all
das andere Zeug, das die Jugendlichen heute so gerne schlucken. Nein, es
handelt sich ganz offensichtlich um einen neuen Stoff. Was genau, kann nur ein
sorgfältig durchgeführtes Drogenscreening ergeben, doch dafür brauche ich mehr
Zeit. Sie müssen meinen Bericht abwarten, Leo.«
    »Natürlich. Trotzdem …« Wolf kaute unschlüssig auf
seiner Unterlippe herum. »Lassen Sie mich konkret fragen, Franzi: Könnte es
Crystal sein?«
    »Sie kennen das Zeug?«
    »Hab heute früh zum ersten Mal davon gehört. Soll
bereits am Bodensee aufgetaucht sein. Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass
wir ihm so bald so nahe kommen würden.«
    »Nageln Sie mich nicht fest«, seufzte Reichmann. Dann
deutete sie über die Schulter zurück auf einen der Aluminiumtische, auf
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