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Second Face

Second Face

Titel: Second Face
Autoren: Carolin Philipps
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damit gerechnet, dass ihre Eltern eines Tages tatsächlich so ein Gedankenspiel-Haus kaufen würden. Und nun ausgerechnet auf dieser Insel.
    »Ohne mich! Ummanz? Geht gar nicht! Vergesst es! Fahrt doch alleine hin!« Annes Stimme überschlägt sich vor Empörung.
    Hilfe suchend sieht sie zu Marie. Aber der hat der Schreck erst mal die Sprache verschlagen.
    »Ich bleibe hier! Ich komme auf keinen Fall mit!« Anne springt so heftig auf, dass sie die Tischdecke und alles, was auf dem Tisch steht, mit sich reißt. Teller, Becher, Butter, Brot, die Salatschüssel samt Inhalt fliegen auf den Boden und von da in alle Richtungen.
    Für einen Moment steht Anne erschrocken da, dann dreht sie sich um und rennt hinaus. Ihre Schritte verhallen auf der Treppe nach oben. Dann wird eine Tür so heftig zugeschlagen, dass im Wohnzimmerschrank die Gläser klirren.
    Totenstille im Zimmer. Niemand kümmert sich um die Salatsoße, die einen immer größer werdenden See auf dem Parkettboden bildet, und um die Salami, die gerade unter dem Esszimmerschrank verschwindet.
    »Was war das denn?«
    »Was hat sie nur?«
    Die Eltern schauen weniger wütend als erschrocken auf Marie, die meistens erklären kann, warum ihre Zwillingsschwester irgendetwas tut, was sonst keiner versteht. Aber heute will Marie nicht vermitteln. Heute ist Marie genauso sauer auf ihre Eltern wie die Schwester, auch wenn sie es nicht so deutlich zeigt.
    »Marie, rede noch mal mit Anne! Ich dachte, ihr würdet euch freuen! Es sollte eine Überraschung sein!«, sagt der Vater, dem man die Enttäuschung über die Reaktion seiner Töchter deutlich ansieht.
    Na, die Überraschung ist ihnen gelungen, denkt Marie. Von Hamburg auf diese Insel! Sie hätten wissen müssen, dass die Zwillinge nie freiwillig dorthin ziehen würden.
    Nachdem Marie ihrer Mutter geholfen hat, die Scherben aufzufegen, den Saft aufzuwischen und den Aufschnitt einzusammeln, macht sie sich auf die Suche nach Anne.
    Die Tür zu ihrem Zimmer steht offen, Anne sitzt am Computer und hämmert wütend auf die Tasten. Bilder von grünen Wiesen und Wäldern erscheinen auf dem Bildschirm.
    »Weißt du, wie viele Einwohner dieses Ummanz hat?«
    »Fünftausend?«
    Anne lacht verächtlich. »Fünftausend! Davon können die nur träumen. Sechshundertdreiundvierzig! Die ganze Insel ist nur zwanzig Quadratkilometer groß. Fünf Dörfer gibt’s und die haben maximal drei bis vier reetgedeckte Bauernhäuser! Steht hier!«
    »Und wo kann man shoppen?«, fragt Marie und hockt sich neben sie. »Gibt es da überhaupt ein Kino?«
    »Shoppen! Das Wort kennen die da nicht mal! Der größte Ort heißt Waase. Moment! Hier stehts: ›In Waase gibt es einen Dorfladen für Lebensmittel und Artikel des täglichen Bedarfs und eine Poststelle, ein Fischrestaurant, einen Fahrradverleih, einen Angel-, Ruder- und Tretbootverleih, einen Friseurladen und einen Töpferladen.‹« Sie verdreht die Augen. »Nix mit shoppen. Kein Kino! Aber jede Menge Ferienhäuser für Touristen, die ihre Ruhe suchen. Und hier, lies das mal: ›Auf ausgedehnten Feuchtwiesen finden sich seltene Pflanzenarten, auf der Vogelinsel Heuwiese und im umliegenden Küstenstreifen brüten Seeschwalben, Möwen und Wattvögel; selbst Säbelschnäbler, Brandgänse sowie Fisch- und Seeadler sind anzutreffen. Reh- und Rotwild, Wildschweine, Dachse und andere Tierarten beleben Wälder, Wiesen und Röhrichte; groß ist der Fischreichtum. Insbesondere Rinder, Schafe,Haflingerpferde und Geflügel werden hier gezüchtet. Wo man hinschaut: bäuerliche Idylle.‹ Bäuerliche Idylle!« Annes Stimme überschlägt sich vor Empörung. »Kannst du dir das vorstellen? Ich zwischen Rindern und Schafen?«
    Marie betrachtet die Schwester in ihren neuen Markenjeans, den hochhackigen Sandalen und dem weißen T-Shirt mit Goldpailletten. Ihre langen blonden Haare umrahmen ein gebräuntes Gesicht. Schwarzer Nagellack auf den Fingern, pinkfarbener Lidschatten.
    Nein, Anne passt so gar nicht auf diese Wald- und Wieseninsel, auf der es weit und breit nur Kraniche und Rehe geben würde, die ihre neuesten Klamotten bewunderten.
    Anne schaltet wütend den Computer aus und schnappt sich ihre Jacke.
    »Willst du noch weg?«
    »Ich treff mich mit Kai. Den wird das umhauen, wenn ich ihm sage, dass ich in die Wildnis ziehen soll. Vielleicht kann ich bei ihm und seiner Familie wohnen, wenn ihr umzieht.«
    Marie schaut ihr besorgt nach. Vielleicht ist das mit dem Umzug nach Ummanz doch keine schlechte Idee. Und
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