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SECHS

SECHS

Titel: SECHS
Autoren: Niels Gerhardt
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Arsch rammen würde. So tief, bis er wimmernd um Entschuldigung bat. Er ballte seine riesigen Hände zu Fäusten. Niemand durfte ihn so behandeln! Rentsch würde das eines Tages noch zu spüren bekommen. Aber bis es soweit war, musste er mitspielen. Der Hund hatte ihn an der kurzen Leine. Noch.
    Ein bitteres Lächeln zog sich über sein Gesicht, wurde nur dort unterbrochen, wo sich eine Narbe über seine rechte Wange zog. Sie war das nunmehr dreißig Jahre alte Souvenir eines Messerkampfes, den er sich als Fünfzehnjähriger mit einem Heimbewohner namens Henry geliefert hatte.
    Henry war das erste Opfer einer Erbarmungslosigkeit, die sich fortan wie ein roter Faden durch Sirkowskys Leben zog. Darauf war er stolz.
    Er war nicht so schwach wie seine Mutter, die sich hatte von diesem Hurensohn von Vater windelweich prügeln lassen und nicht einmal dann etwas unternahm, als dieser lüstern über seine Schwester hergefallen war. Irgendwann war es nicht mehr zu ertragen gewesen. In einem Akt der Gnade und Liebe versuchte er, erst seine Mutter von ihrem Leiden zu erlösen und dann seinen Vater dafür zu bestrafen, dass er ihn so weit getrieben hatte. Am Ende hatten sie beide überlebt. Ein Fehler, der ihn schließlich im Alter von zwölf Jahren ins Heim gebracht hatte. Und seitdem versuchte er die Dinge, die er anpackte, sicher zu einem Ende zu bringen.
    Er rief sich den Moment des Unfalls in Erinnerung und fand es recht beeindruckend, wie weit man fliegen konnte. Eine völlig neue Erfahrung und noch besser, als jemanden mit der Garrotte zu erledigen. Auch wenn das durchaus seinen Reiz hatte. Aber er kannte das schon zu Genüge. Sie schlugen, strampelten immer wild um sich, wenn sich der Draht um ihren Hals spannte, und merkten nie, dass sie sich, wie ein im Moor Versinkender, nur noch schneller ins Unheil gruben. Und ehe sie sich versahen, hingen sie schon durch wie ein schlaffer Schwanz.
    Weil nicht er selbst, sondern der Zufall den Job erledigt hatte, fehlte ihm nun die Gewissheit, dass es getan war. Aber es müsste schon an ein Wunder grenzen, wenn der Mann das überlebt hatte. Und falls doch, würde er es eben in einem zweiten Anlauf zu Ende bringen. Danach würde er in der Heimat untertauchen, solange, bis sich die Wogen geglättet hatten. Dort konnte er das in aller Seelenruhe abwarten.
    Er überlegte, was jetzt zu tun war. Zunächst musste er herausfinden, wo sie den Typen hingeschafft hatten. Sich einfach durchzutelefonieren, um das in Erfahrung zu bringen, schloss er aus. Telefonisch würde ihm sicherlich niemand Auskunft erteilen.
    Wo konnte er also sein? Sirkowsky folgerte, dass man ihn zum nächstgelegenen Krankenhaus verfrachtet hatte. Aber welches?
    Ihm fielen nur zwei Möglichkeiten ein. Die Charité oder das Unfallkrankenhaus. Das Unfallkrankenhaus erschien ihm die Wahrscheinlichere von beiden Möglichkeiten.
    Da würde er anfangen zu suchen.
    Sirkowsky stieg in seinen Lada Niva und fuhr los.

-14-
     
    Ben war nach der geleisteten Starthilfe zum Bäcker gegangen und hatte sich Frühstück besorgt. Normalerweise war er während der Semesterferien nicht so früh unterwegs, aber da heute Abend eine Party in seiner Wohnung stieg und er jede Menge Kommilitonen erwartete, gab es noch viel zu erledigen. Die nette Altbauwohnung, die er seit Februar bewohnte, musste aufgeräumt werden und, natürlich, galt es auch Getränke zu organisieren. Darum hielt er es zumindest heute nach der väterlichen Maxime „Der frühe Vogel fängt den Wurm“. So sehr er diesen Spruch auch hasste, er hatte ihm eine nette Bekanntschaft beschert.
    Anna ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Und das wollte etwas heißen, seitdem ihn seine Freundin im Januar gegen einen anderen ausgetauscht hatte. Im Dezember des letzten Jahres hatte Silke noch beteuert, ihn, und nur ihn zu lieben, dabei flogen aber bereits im Minutentakt SMS in Richtung ihres Studienkollegen.
    Von da an war jedes Vertrauen in das andere Geschlecht dahin, und er widmete sich fortan ganz den Geschichtswissenschaften. Mit seinen sechsundzwanzig Jahren war es ohnehin Zeit, das Studium endlich zu einem Abschluss zu bringen.
    Anna könnte ihn die Enttäuschung vergessen lassen. Mit ihren großen Augen und dem hochgesteckten braunen Haar, schlank und feminin, empfand er sie als unglaublich anziehend. Und nicht zuletzt weckte sie, in ihrer tolpatschigen Hilflosigkeit, seine Beschützerinstinkte.
    Er schätzte sie auf Anfang bis Mitte dreißig.
    Vielleicht zu alt?
    Andererseits
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