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SECHS

SECHS

Titel: SECHS
Autoren: Niels Gerhardt
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Sterillium waberte ihnen entgegen.
    Die Praxisräume waren kalt. Einzig und allein der steingraue Linoleum-Fußboden vermittelte etwas Kontrast und Wärme. Ansonsten steriles Weiß wohin das Auge blickte. Eine weiße Raufasertapete, weiße Schränke und eine weiße Anmeldung. Einen Arzt an seiner Einrichtung zu messen war natürlich idiotisch - und Kovacz war ein guter Arzt. Schon als Kind hatte Melanie auf seinem Behandlungs-Stuhl gesessen. Er duzte sie, sie siezte ihn.
    Das Wartezimmer war leer, und so wurden sie nach nur fünf Minuten aufgerufen.
    Auch wenn beide Kinder noch keine Bekanntschaft mit dem Bohrer gemacht hatten, konnte Melanie in den Augen von Claire eine sichtliche Erleichterung feststellen, als die Verfärbung als solche diagnostiziert war. Und auch Melanie war erleichtert. Zu tief saßen die Erinnerungen an Claires Narkose und die anschließende Ohren-Operation.
    Wie tot, war der Gedanke, der ihr damals durch Mark und Bein gefahren war, als die Kleine in ihren Armen erschlafft war. Seit jener Operation war ihr selbst der Mundspatel im Rachen ihrer Kinder suspekt.
    „Die Zähne deiner Töchter sind kerngesund“, konstatierte Doktor Kovacz zufrieden.
    „Ist auch kein Wunder. Keine Schokolade, keine Cola, nicht mal Gummibärchen!“, brummelte Claire.
    „Und auch keinen Fernseher!“, ergänzte Sofie.
    „Ihr habt keinen Fernseher?“, fragte der Arzt überrascht.
    Melanie verdrehte die Augen.
    „Das ist heutzutage wirklich ungewöhnlich.“
    „Ja, voll hinter dem Mond“, beschwerte sich Claire.
    „Papa sagt, da gibt es nur Unterschicht-Mist.“
    „Da hat er vielleicht nicht ganz unrecht“, bestätigte Kovacz mit einem Lächeln.
    „Außerdem habt ihr ohne Fernseher mehr Zeit zum Zähneputzen.“ Er blinzelte ihnen zu.
    Die Kinder nickten genervt.
    Er gab allen die Hand, verabschiedete sich und verschwand rasch im Nebenzimmer, wo schon der nächste Patient auf seine Behandlung wartete.
    Als sie alle die Praxis verlassen hatten, schaltete Melanie ihr Handy ein. Das Display erwachte flackernd zum Leben. Nachdem sich das Handy erneut ins Netz eingebucht hatte, meldete es fünf Anrufe in Abwesenheit. Melanie stutzte. Alle waren von einer ihr unbekannten Nummer und in der Zeit von sieben bis Viertel nach sieben eingegangen. Sie überlegte einen Moment zurückzurufen, entschied sich aber dann doch dagegen.
    Seit sie einmal mehrere Anrufbenachrichtigungen mit einem Rückruf bedacht hatte, war sie vorsichtig geworden. Die Rufnummer hatte sich als teure Sondernummer entpuppt, die sie binnen einer Sekunde um gut zwei Euro erleichtert hatte. Noch einmal wollte sie auf eine solche Masche nicht hereinfallen.
    Wer auch immer das war, wird noch einmal anrufen , dachte Melanie. Sie musste jetzt die Kinder nach Hause bringen.

-9-
     
    „Herrgott. Was ist denn hier los?“, stöhnte Frauke Zanner, Stationsärztin der Unfallklinik Berlin. Sie hatte ihren Dienst um sechs Uhr angetreten und jetzt, kurz nach der Übergabe, ging es schon drunter und drüber. Ein Rettungswagen nach dem anderen war eingetroffen und hatte diverse Notfälle ausgespuckt. Ein Metzger, der sich ein paar Fingerkuppen amputiert hatte, ein Betrunkener mit einer Fraktur, drei Autounfälle und ein gestürzter Mofafahrer. Das ließ für den weiteren Tag nichts Gutes erwarten.
    Zwei der „Autounfälle“ hatte es mit Polytraumata, lebensbedrohlichen Mehrfachverletzungen, schwer erwischt. Sie lagen bereits im Schockraum und ein interdisziplinäres Behandlungsteam, bestehend aus Spezialisten der Fachrichtungen Unfallchirurgie, Anästhesie und Radiologie, führte die Schockraumversorgung unter Hochdruck durch. Ganz nach dem Prinzip „Treat first, what kills first“.
    Der dritte Autounfall, einen Mann, der angefahren worden war, hatte es am Übelsten erwischt. Er verstarb bereits wenige Minuten nach seiner Einlieferung, nicht ganz vierzig Jahre alt geworden. Man hatte noch keine Zeit gefunden, sich um ihn zu kümmern oder auch nur die Angehörigen zu benachrichtigen. Und so lag der arme Teufel abgedeckt in irgendeinem Nebenraum der Klinik. Das Interesse aller galt im Moment ausschließlich den beiden Lebenden. Ob sie es schafften, stand noch in den Sternen.

-10-
     
    Gegen 7:20 Uhr ging über eine abhörsichere Leitung in der Senatskanzlei Berlin ein Anruf ein.
    „Wir haben einen Gewinner", vermeldete der Anrufer mit russischem Akzent.
    „Und was genau heißt das, Sirkowsky?“, hakte Rentsch nach.
    „Unser Mann ist direkt vor ein Auto
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