Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SECHS

SECHS

Titel: SECHS
Autoren: Niels Gerhardt
Vom Netzwerk:
richtete sich schnell wieder auf und lenkte sofort gegen. Der Micra gehorchte. Ihr Herz machte einen Satz. Ein entgegenkommendes Auto rauschte wild hupend an ihr vorbei.
    Verdammt!
    Ein kurzer Blick auf die Straße. Vor ihr war es einigermaßen frei. Die Tachonadel zeigte achtzig Stundenkilometer an. Zweiter Versuch. Dieses Mal mit mehr Schwung.
    Wieder lehnte sie sich über den Beifahrersitz und griff hinüber. Sie versuchte den Kopf dabei so zu halten, dass sie den Blick nicht ganz von der Straße nehmen musste. Die Karte aber bekam sie so nicht zu fassen. Sie begriff, dass sie schon würde hinsehen müssen. Anna fixierte das kleine Stück Papier mit den Augen und streckte sich so weit sie konnte.
    Als sie die Karte endlich unter den Fingerkuppen fühlte, bemerkte sie, wie der Wagen nach rechts einlenkte. Bei dem natürlichen Impuls sich am Steuer hochzuziehen, verriss sie es nun erst recht. Der Wagen knickte nach links ein, und Anna wurde wieder hinter das Steuer geschleudert. Doch das half ihr nicht mehr. Es war bereits zu spät.
    Als ihr bewusst wurde, was da rasend schnell auf sie zukam, schrie sie. Anna klammerte sich ans Lenkrad. Die Knöchel ihrer Finger traten weiß hervor.
    Dann ließ ein gewaltiger Ruck den Micra erzittern, als er mit nahezu unverminderter Geschwindigkeit gegen den Bordstein prallte. Der rechte Vorderreifen detonierte sofort mit einem gewaltigen Knall. Im nächsten Moment bäumte sich der Wagen auf, hob sich in die Luft wie ein waidwundes Reh, bevor es tot zusammenbricht. Dabei schrammte der Wagenboden über die Bordsteinkante und produzierte ein häßliches Kreischen. Als die Erdanziehung den Wagen zurückgezwungen hatte, setzten die Vorderrad-Achsen funkenstobend auf. Von der Gewalt des Aufschlags deformiert, ächzte die Karosserie auf. Glas splitterte, explodierte in den Innenraum.
    Kurz vor dem Aufprall sah Anna noch, dass ein Schatten in ihr Blickfeld huschte. Direkt vor die Motorhaube. Dann tat es einen Schlag. Der Schatten flog über das Auto.

-6-
     
    Als Annas Wagen an der Mauer zerschellte, schob sich die Motorhaube wie eine Ziehharmonika zusammen. Krachend. Der Motorblock wurde in den Fahrerraum gerammt, zerschmetterte ihre Beine. Die Lenksäule richtete sich auf und brach ihr die Arme, wie Äste in einem Sturm.
    Die Welt um sie herum versank in Dunkelheit.
    Es war exakt 6:17 Uhr.
    Die Visitenkarte war im Fußraum verschwunden. Begraben unter einem Meer von Glassplittern.

-7-
     
    Um sieben hatten die Kinder eine Verabredung mit dem Zahnarzt. Kurz vor den Feiertagen wollte Melanie die kleine Verfärbung auf Claires Backenzahn abklären lassen, und wenn sie schon einmal da war, dem Arzt auch einen Blick in Sofies Mund gestatten.
    Melanie ging gerade die Treppe hoch um zu überprüfen, ob sich die Kinder schon fertiggemacht hatten, als sie von draußen das Geräusch blockierender Reifen hörte. Gleich im Anschluss folgte ein dumpfer Schlag und ein zweiter hinterher. Dann herrschte Stille.
    Melanie lief zum Flurfenster, öffnete es und schaute, weit hinausgelehnt, in beide Richtungen die Straße entlang. In der Ferne konnte sie im schwachen Schein einer Laterne eine Traube von Menschen sehen, die irgendeinen Wagen umringten. Mehr war nicht zu erkennen.
    Es sind genug Leute da .
    Der Notruf war, wenn überhaupt benötigt, sicherlich auch schon abgesetzt. Sie entschied, es bei dieser Feststellung zu belassen.
    Sie schloss das Fenster wieder und setzte ihre Inspektion fort. Natürlich waren die Kinder noch nicht ganz fertig und mussten - wie immer - angetrieben werden.
    Als sie alle endlich das Haus verlassen konnten und schließlich vor die Tür traten, jagte ein Krankenwagen an ihnen vorbei. Das Blaulicht kreiste hektisch, tauchte die Fassaden der Häuser und ihre Gesichter in ein fahles Blau.
    „Mama? Was ist da passiert?“, fragte Claire besorgt.
    „Da vorne gab es einen Unfall.“
    „Sind da Menschen gestorben?“
    „Ich weiß es nicht.“
    Melanie drückte beide Kinder rechts und links an ihre Seite - mehr um sich selbst zu trösten.
    „Hoffen wir es nicht“, kam es leise. Doch die Kinder hörten es nicht.

-8-
     
    Das Schild an der Eingangstür wies darauf hin, dass Handys auszuschalten seien, da sie die empfindliche Elektronik der zahnärztlichen Instrumente stören könnten. Wie immer befolgte Melanie die Anweisung, auch wenn sie sich stets fragte, was das für Instrumente sein sollten. Alle rümpften ihre Nase, als sie die Praxis betraten. Der Geruch von
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher