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SECHS

SECHS

Titel: SECHS
Autoren: Niels Gerhardt
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durch den Raum zuckten, schwere Kampfstiefel über den Boden rennen und dann schwarze Handschuhe, die eine Decke über den brennenden Sirkowsky warfen.
    „Der hier lebt noch“, brüllte eine Stimme.
    „Hier ist noch einer!“, eine andere.
    Dieselbe Stimme sagte jetzt: „Der lebt auch!“
    „Zwei Bahren! Los, los, los!“
    „Mama?“, meldete sich Sofie.

-101-

    „Er wird überleben“, antwortete Doktor Waller, auf die Frage von Reimar, wann Sirkowsky vernehmungsfähig sei.
    „Ob Sie ihn jemals befragen können, kann ich nicht sagen. Womöglich bleibt er für immer im Koma.“
    Reimar nickte. Irgendwer hatte zu hoch gezielt.
    „Aber Sie entschuldigen mich jetzt, ich habe noch eine Besprechung mit Frau Brenner.“
    „Was ist mit ihrem Mann?“, fragte Reimar.
    „Ein Bauchschuss ist eine ernste Sache und endet oft tödlich. Etwas später und wir hätten ihn nicht mehr retten können! Jetzt müssen erst mal die Brüche verheilen und dann sehen wir weiter. Das dauert eine Weile. Jedenfalls hatte er sehr viel mehr Glück als Ihr Kollege.“
    Erneut nickte Reimar. Er kannte den Kollegen zwar nicht persönlich, zollte ihm aber jede Menge Respekt dafür, da reingegangen zu sein. Selbst wenn er die Situation unterschätzt hatte und ihm gar nicht bewusst gewesen war, dass ihn das, mit neunundvierzig, das Leben kosten könnte. Und das hatte es.

-102-

    Sirkowsky wusste nicht, wo er sich befand oder wie lange er schon hier war. Alles um ihn herum war schwarz. Er würde die Dunkelheit ertragen, für immer, wenn er nur nicht wieder Besuch bekäme. Da waren diese Stimmen, diese schrecklichen Stimmen. Sie zischten, sie murmelten, sie brüllten und klagten. Jede Einzelne war schwärzer als der Ort, an dem er sich befand. Er wusste, wer sie waren und warum sie kamen. Seinetwegen!
    Jetzt waren sie wieder nahe, diese sechs Seelen. Sie waren irgendwo da draußen und er ahnte, er würde wieder schreien, wieder schreien ...

-103-

    Zwei Monate später.
    Nachdem er ein weiteres Kapitel seines Romans fertiggestellt hatte, ging Frank wie immer im Wald spazieren. Er sog die frische Luft ein, schaute sich um, bewunderte das strahlende Blau der Blätter und dachte darüber nach, dass sein Leben, jetzt, nach dem Unfall, dem ganzen Horror, fast zu schön war, um wahr zu sein.
    Wie es wohl gelaufen wäre, wenn er seine Frau nur eine Sekunde länger im Arm gehalten, damit eine Sekunde später das Haus verlassen hätte oder einfach nur einen Schritt weniger, mehr, schneller oder langsamer gegangen wäre?
    Fast war er froh, dass alles so geschehen ist, wie es geschehen war. Sie hatten jetzt ein sorgloses Leben, er und seine Frau. Sie waren sich näher als jemals zuvor und mit all dem Geld war ihre Zukunft gesichert.
    Schnitt. Dunkelheit.

    *

    Vor seinem inneren Auge lief der Film seines Lebens ab. Grundschule, gelber Füller, Magie.
    Schnitt.
    Erste E-Gitarre, Uni, Melanie.
    Schnitt.
    Erste Küsse, Sex, Hochzeit, Geburt.
    Schnitt.
    Ring the Roller, Anna Liebermann, Unfall, Sirkowsky, Rentsch, Kampf, Tankquittung, Ofen, Feuer, Explosion, Krankenhaus, Genesung.
    Dann das Jetzt. Wald. Blaue Blätter.
    Und wieder von vorne.

-104-

    Das Telefon klingelte. Melanie hob ab.
    „Ich bin's, Anna.“
    „Süße, ich habe es ein bisschen eilig. Frank wartet! Wir sehen uns zur Feier“, antwortete Melanie.
    „Ah ... okay. Nur kurz. Wie geht’s ihm?“
    „Immer wieder das Gleiche.“
    „Ich war neulich mit Ben und Corinna da. Später ist auch noch Frauke gekommen. Die Gute! Pensioniert und kümmert sich immer noch rührend“, sagte Anna.
    „Ja, das ist wahr! Du, ich muss jetzt aber ...“
    „Nur noch eins ... meinst du, Frank würde mich noch erkennen, wenn er ...“
    „Da bin ich sicher. Er träumt garantiert von dir - von uns allen.“
    Wenige Sekunden später legte Anna auf. Mit einem Lächeln.

-105-

    Es war der Tag, an dem Franks allseits unbeliebter Chef Arthur Rentsch an einem Pankreastumor starb. Zu seinen letzten Gedanken gehörte, dass er sich wünschte, dass sich jemand vielleicht an ihn erinnern und er so weiterleben würde. Seine Frau Swantje gehörte sicherlich nicht dazu.
    Zu niederträchtig war er gewesen, zu viele Jahre vergangen, seitdem sie ihn verlassen hatte. Das alles erkannte er, kurz bevor er sein Leben aushauchte.

-106-

    Melanie fuhr sich durch die schlohweißen Haare, suchte dabei den Blick des Oberarztes. Mit besorgter Stimme sagte sie: „Er träumt doch gut, oder?“
    „Frau Brenner. Keine Sorge. Das System
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