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Science Fiction Almanach 1983

Science Fiction Almanach 1983

Titel: Science Fiction Almanach 1983
Autoren: H. J. Alpers
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psy­cho­so­ma­ti­sche Ner­ve­n­er­kran­kung, ich be­han­del­te ihn seit über ei­nem Jahr nach hyp­no­ti­scher The­ra­pie, ob­wohl ich wuß­te, daß er da­für kaum emp­fäng­lich war. Herr Rich­ter, ich lei­de mit mei­nen Pa­ti­en­ten, die schwe­ren Fäl­le drücken mich nie­der, oft bin ich na­he dar­an, an ih­nen zu er­sti­cken. Ich such­te bei die­sem Mann nach ei­ner Mög­lich­keit, mit sei­nem Un­ter­be­wußt­sein in di­rek­ten Kon­takt tre­ten zu kön­nen, um end­lich die Ur­sa­chen der schreck­li­chen Er­kran­kung frei­zu­le­gen.
    So stand ich am Fens­ter und starr­te hin­aus, und das klei­ne Ge­sicht dort drü­ben fes­sel­te mich auf ei­ne son­der­ba­re, auf­re­gen­de Wei­se. Ich sah das schrul­li­ge, schein­bar sinn­lo­se Spiel der win­zi­gen Mus­keln, spür­te die müh­sa­men Ver­su­che des kaum ge­präg­ten Ge­hirns, den Kör­per zu be­grei­fen und zu be­herr­schen, und un­abläs­sig, wie ein Uhr­werk, zuck­te der Blutstrom un­ter der kno­chen­frei­en Stel­le über dem Stirn­bein.
    Ich schrak zu­sam­men, als sich hin­ter mir der nächs­te Pa­ti­ent räus­per­te: Herr Dok­tor, sag­te er, und dann: Soll ich war­ten? Ich wand­te mich um und ver­gaß au­gen­blick­lich das Ba­by, und auch an den fol­gen­den Ta­gen be­schäf­tig­te es mich nicht.
    Erst ei­ne Wo­che spä­ter, es war nicht mehr so kalt, und mein Fens­ter stand leicht ge­kippt, hör­te ich fröh­li­ches Lal­len, ich blick­te hin­aus und sah den Wa­gen in ei­ner an­de­ren Ecke der Ter­ras­se. Das Ba­by blieb da­bei für mich fast un­sicht­bar, mir war das Ver­deck des Wa­gens zu­ge­wandt, dar­über er­schi­en ei­ne win­zi­ge Hand, we­del­te hin und her, und plötz­lich konn­te ich auch den Rand der Müt­ze und einen klei­nen Strei­fen der Stirn wahr­neh­men, und wie­der zog mich die pul­sie­ren­de Fon­ta­nel­le an, ein dün­ner Vor­hang über ei­nem wer­den­den Hirn, ein ge­heim­nis­vol­les Tor aus Haut und Schleim, von der Na­tur nur für kur­ze Zeit vor­ge­se­hen, bis die Kno­chen die­sen Durch­gang schlie­ßen wür­den.
     

     
    Da spür­te ich ein deut­li­ches: Wer bist du? in mei­nem Kopf, spon­tan sag­te ich mei­nen Na­men. Wer bist du? sag­te es wie­der, und ich er­tapp­te mich da­bei, wie ich laut aus dem Fens­ter hin­aus er­klär­te, ein Mensch zu sein, achtund­drei­ßig Jah­re alt, Arzt. Aber die Fra­ge schi­en da­mit nicht er­schöp­fend be­ant­wor­tet, sie zupf­te wei­ter an mir, und als ich ver­such­te, sie noch ein­mal zu be­ant­wor­ten, kam sie prä­zi­ser: Bist du wie ich?
    Die Stirn­haut dort drü­ben in dem Kin­der­wa­gen fla­cker­te rhyth­misch, die­ses Fla­ckern spür­te ich über mei­nen Au­gen, der gan­ze Raum schi­en zu pul­sie­ren, ver­wirrt wand­te ich mich ab und be­deck­te mein Ge­sicht mit den Hän­den. Als das Fla­ckern nicht ver­schwand, be­griff ich, daß es un­ab­hän­gig vom Ge­sichts­sinn in mei­nem Ge­hirn emp­fan­gen wur­de. Wie­der er­reich­te mich die Fra­ge: Bist du wie ich?
    Ich sag­te: Ja.
    Be­greifst du mich?
    Na­tür­lich, sag­te ich. Das Licht tick­te in mei­nem Hirn, noch war mir nicht klar, was sich ab­spiel­te, ver­wirrt von den selt­sa­men Fra­gen, dem schmer­zen­den Fla­ckern in mei­nem Kopf, riß ich mich los und mus­ter­te an­ge­strengt die Kar­tei­kar­te des nächs­ten Pa­ti­en­ten, und erst am Abend, als ich mü­de und ab­ge­spannt im Bett lag, wuß­te ich plötz­lich, daß das Ba­by ei­ne Ver­bin­dung zu mir ge­sucht hat­te.
    Un­sinn! wer­den Sie sa­gen, ein drei Mo­na­te al­ter Säug­ling ist nicht im­stan­de, der­ar­ti­ge Fra­gen zu stel­len. Ich war der­sel­ben Mei­nung.
    Wie soll ein Ge­hirn Wor­te for­mu­lie­ren, die es gar nicht kennt? hielt ich mir vor. Und dann: Das Kind kann­te mich über­haupt nicht, es hat­te mich nie ge­se­hen, ver­mut­lich hät­te es ge­schri­en, wenn ich auch nur ver­sucht hät­te, es auf den Arm zu neh­men.
    Heu­te weiß ich es bes­ser: Wir ma­chen uns falsche Vor­stel­lun­gen von der See­le ei­nes Ba­bys. Da­mals war ich eben­so vor­ein­ge­nom­men wie Sie, dräng­te är­ger­lich den Ge­dan­ken bei­sei­te, und als er wei­ter­bohr­te und nicht mehr fort­zu­schie­ben war, warf ich mir
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