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Schwesternmord

Schwesternmord

Titel: Schwesternmord
Autoren: Tess Gerritsen
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Die Straße wand sich in breiten Serpentinen, und ab und zu erhaschte sie zwischen den Bäumen hindurch einen Blick auf Fox Harbor unten im Tal, auf das Wasser, das wie getriebenes Kupfer in der Nachmittagssonne glitzerte. Dann wurde der Wald zu dicht, und sie konnte nur noch die Bäume in ihrem leuchtend roten und orangefarbenen Laubkleid sehen, und vor sich die kurvige, mit Blättern übersäte Straße.
    Als Elijah endlich anhielt, waren Alices Beine so müde, dass sie kaum stehen konnte. Von Buddy war weit und breit nichts zu sehen; sie hoffte nur, dass er allein nach Hause finden würde, denn sie würde ganz bestimmt nicht nach ihm suchen. Nicht jetzt; nicht, wenn Elijah vor ihr stand und sie anlächelte, mit seinen funkelnden blauen Augen. Er lehnte sein Rad an einen Baum und warf seine Tasche über die Schulter.
    »Wo ist denn nun euer Haus?«, fragte sie.
    »Es ist die Einfahrt dort drüben.« Er deutete auf einen rostigen Briefkasten ein Stück weiter die Straße entlang.
    »Gehen wir denn nicht zu euch?«
    »Nein, meine Cousine ist krank; sie war heute nicht in
der Schule. Sie hat die ganze Nacht gekotzt, da gehen wir lieber nicht rein. Mein Projekt ist sowieso da draußen im Wald. Lass dein Rad einfach stehen; von hier ab müssen wir zu Fuß gehen.«
    Sie stellte ihr Rad neben seines an den Baum und folgte ihm. Von dem langen Anstieg zitterten ihr immer noch die Beine. Sie stapften durch den Wald. Hier standen die Bäume dicht an dicht, der Boden war mit einer dicken Laubschicht bedeckt. Tapfer folgte sie ihm und wedelte sich die Mücken aus dem Gesicht. »Wohnt deine Cousine denn bei euch?«, fragte sie.
    »Ja, sie ist letztes Jahr zu uns gezogen. Wahrscheinlich bleibt sie ganz bei uns. Sie kann ja sonst nirgends hin.«
    »Haben deine Eltern denn nichts dagegen?«
    »Es ist nur mein Dad. Meine Mutter ist tot.«
    »Oh.« Sie wusste nicht, was sie erwidern sollte. Schließlich murmelte sie einfach nur: »Das tut mir Leid«, aber er schien es nicht gehört zu haben.
    Das Unterholz wurde immer dichter, und die Dornen zerkratzten ihre nackten Beine. Sie hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Er marschierte einfach immer weiter, während sie mit ihrem Rock in einem Brombeerstrauch hängen blieb.
    »Elijah!«
    Er gab keine Antwort, sondern stapfte weiter durchs Unterholz wie ein unerschrockener Forscher, die Schultasche über die Schulter geworfen.
    »Warte!«
    »Willst du es nun sehen oder nicht?«
    »Doch, aber …«
    »Dann komm jetzt.« Seine Stimme hatte mit einem Mal einen ungehaltenen Unterton angenommen, der sie erschreckte. Er war ein paar Meter vor ihr stehen geblieben und blickte sich zu ihr um. Ihr fiel auf, dass seine Hände zu Fäusten geballt waren.
    »Okay«, erwiderte sie kleinlaut. »Ich komm ja schon.«
    Nach wenigen Metern tat sich plötzlich eine Lichtung
auf. Sie erblickte ein paar steinerne Grundmauern – die einzigen Überreste eines alten, längst verfallenen Gehöfts. Elijah wandte sich zu ihr um. Die Nachmittagssonne, die durch die Baumkronen fiel, malte Lichtflecken auf sein Gesicht.
    »Hier ist es«, sagte er.
    »Was?«
    Er bückte sich und zog zwei Holzplanken zur Seite, unter denen ein tiefes Loch zum Vorschein kam. »Schau mal da rein«, forderte er sie auf. »Ich habe drei Wochen gebraucht, um das auszuheben.«
    Langsam trat sie an die Grube heran und blickte hinein. Die Sonne stand schon so tief, dass der Boden der Grube im Schatten lag. Nur mit Mühe konnte sie eine Schicht aus trockenem Laub erkennen, die sich in der Grube angesammelt hatte. Über den Rand hing ein Seil.
    »Ist das eine Bärenfalle oder so was Ähnliches?«
    »Wäre möglich. Wenn ich ein paar Zweige drauflegen würde, um das Loch zu verdecken, könnte ich alles Mögliche fangen. Sogar einen Hirsch.« Er zeigte in die Grube. »Schau mal genau hin – kannst du es sehen?«
    Sie beugte sich weiter vor. Irgendetwas schimmerte ganz schwach in dem schwarzen Loch zu ihren Füßen; kleine weiße Flecken, die zwischen den Blättern hervorblitzten.
    »Was ist das?«
    »Das ist mein Projekt.« Er griff nach dem Seil und zog daran.
    Das Laub am Boden der Grube raschelte und teilte sich. Alice sah mit großen Augen zu, wie das Seil sich straffte und Elijah einen Gegenstand aus der Grube zog. Einen Korb. Er hievte ihn hoch und stellte ihn auf den Boden. Dann fegte er das Laub zur Seite und legte das weiße Etwas frei, das sie am Boden der Grube hatte schimmern sehen.
    Es war ein kleiner Schädel.
    Er zupfte noch ein paar
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