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Schwestern schenkt der liebe Gott

Schwestern schenkt der liebe Gott

Titel: Schwestern schenkt der liebe Gott
Autoren: M.Z. Thomas
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zieht schnell nach draußen.
    Wer sollte wohl auf den
Gedanken kommen, daß um diese Stunde ein Frosch durch die Luft geflogen kommt!
Ein Frosch, der in der allerbesten Absicht und nur, um einer Mutter den Abscheu
vor seinem Anblick zu ersparen, von oben herabsegelt? Einen wundervollen Platz
hat dieser Frosch zum Landen. Er kann zwischen den Teppichstangen, bei den
Mülltonnen, in den Pappeln, auf dem grünen Rasen niedergehen, und niemand wird
je ein Wort darüber verlieren. Käfer und Würmer werden kommen und ihn begraben,
und kein Schriftsteller wird sich bemüßigt fühlen, ihm einen Nachruf zu widmen.
    Hoppla! Da klatscht er in die
Suppe von Frau Zattersteg. Frösche lieben das Feuchte anscheinend auch noch,
wenn sie tot sind. Frau Zattersteg schreit auf. Sie ist erschrocken, weil
jemand in ihre Suppe hopst. Sie läuft zum Fensterbrett. Und als sie sieht, wer
sich da zwischen dem schönen Brühreis, den Hühnermägen und Fettaugen
breitmacht, schreit sie noch einmal: „Ha!“
    In diesem Augenblick reißt Herr
Zattersteg die Türe auf. Er kommt direkt von der Post. Sein Kopf ist rot. Er
zittert vor Empörung.
    „Denk doch bloß mal an...!“
rufen sie beide wie aus einem Munde, und dann stehen sie starr, denn jeder
wundert sich, wieso der andere so aufgebracht ist. Frau Zattersteg kann doch
überhaupt nichts von den zwanzig Mark wissen! Und Herr Zattersteg nichts vom
Frosch!
    Das dauert nur eine Sekunde,
und dann platzen beide wieder los. „Zwanzig Mark!“ ruft Herr Zattersteg. „Ein
Frosch!“ ruft Frau Zattersteg.
    Darauf ist wieder Totenstille.
Jeder glaubt, der andere sei verhext. Sie kennen sich beide ein Leben lang.
Dreißig Jahre sind sie miteinander verheiratet. Nie ist etwas in ihrer Ehe
vorgefallen. Jetzt haben sie beide ein Erlebnis gehabt, das sie bis zum
Zerspringen erfüllt, und meinen, einer mache sich über den anderen lustig.
    Sie versuchen es noch einmal.
Herr Zattersteg, völlig außer Atem, schreit: „Zwanzig Mark fehlen in der
Kasse!“ und seine Frau: „In unserem Reis ist ein Frosch!“ Das Unglück will es,
daß sie beide genau zur gleichen Zeit mit ihrem Satz anfangen und aufhören.
Keiner hat deshalb verstanden, was der andere gesagt hat. Frau Zattersteg hört
nur das Wort ,Kasse’ und Herr Zattersteg das Wort
,Frosch’. Das ist eine Beleidigung für ihn.
    Der friedliche und korrekte
Herr Zattersteg wird von seiner Wut überwältigt. Er, der keiner Fliege etwas
zuleide tun kann, der noch nie einem Schalterkunden ein böses Wort gesagt hat,
der es auch nie wagen würde, das Schild GESCHLOSSEN auf den Tisch zu stellen,
falls noch jemand eine Briefmarke haben möchte, er tritt wutschnaubend und mit
fliegenden Händen an das Fenster, ergreift die Terrine mit Reissuppe, Frosch,
Hühnermägen und Fettaugen und feuert sie unbesehen zum Fenster hinaus. Irgend
etwas mußte er tun, um seine Wut zu entladen. Von dem Frosch, den er mit der
Terrine beseitigt hat, ahnt er noch immer nichts.
    Es klirrt, scheppert, schwappt,
und im gleichen Augenblick ertönt auf dem Hof ein gewaltiger Fluch. Dann
herrscht für eine Sekunde Totenstille. Zatterstegs erstarren zu zwei
Salzsäulen. Endlich hört man unter dem Fenster die Stimme des Hausmeisters:
„Das wird Ihnen teuer zu stehen kommen, Herr Zattersteg!“
    Herrn Zattersteg dreht sich das
Herz um. Denn erstens heißt es nicht Ihnen, sondern Sie, und zweitens ist der
Hausmeister ein Mann, mit dem keiner im ganzen Neubaublock gern etwas zu tun
hat. Er stellt sich zum Beispiel abends unter die Fenster und tut, als richte
er etwas am Hause, aber dabei hört er nur zu, worüber sich die Leute bei
offenem Fenster in den Wohnungen unterhalten. Herr Zattersteg freilich ist der
erste Mieter, der ihm dabei eine Terrine heiße Reissuppe mit Hühnermägen und
Fettaugen über den Rücken schüttet.
    Es nützt nichts, daß Herr
Zattersteg nun zornrot das Fenster zuschlägt. Der Hausmeister ist nicht der
Mann, der zugibt, daß er die Hühnersuppe verdient hat. Laut schimpfend kommt er
durch den Hofeingang in das Haus, klingelt bei Zatterstegs Sturm und lärmt, daß
der Hausflur dröhnt. Gerade als Herr und Frau Zattersteg die Wohnungstür
aufmachen, um die Sachlage zu erklären und sich mit dem Hausmeister
auszusprechen, tritt Herr Günther ins Haus.
    Sofort fährt Frau Zattersteg,
die der Verlust ihrer Terrine um den letzten Rest an Friedfertigkeit gebracht
hat, auf ihn los: „Sie haben schuld! Jawohl, Sie, Herr Günther!“, und Diplomingenieur
Günther
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