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Schwestern schenkt der liebe Gott

Schwestern schenkt der liebe Gott

Titel: Schwestern schenkt der liebe Gott
Autoren: M.Z. Thomas
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Puck.
    „Pfui!“ ruft die Mutter.
    Puck blickt vorwurfsvoll auf.
Glaubt sie wirklich, er würde dieses Hühnerbein fressen? Aber die Mutter meint
gar nicht ihn mit ihrem Pfui, sondern Brüder: „Wo hast du denn das schon wieder
her?“
    „Lag auf der Straße. Ich
dachte, wenn Puck Hunger hat... und dann... es lebt auch noch, Mutti!“ Blitzschnell
steckt er den Rest seines Brotes in den Mund, bückt sich, hebt den Hühnerfuß
auf und zieht an der weißen Sehne, die oben heraushängt. Die Hühnerkrallen
gehen auf und zu. Brüder lacht . Die Mutter wendet sich
ab. „Sofort wirfst du das weg! Das ist ja scheußlich!“
    Im Gegenteil! Brüder findet es
großartig. Er rennt lachend um seine Mutter herum, hält ihr die Pfote übermütig
vor die Nase und läßt die Krallen auf- und zugehen.
    Batz! fängt er eine Kopfnuß.
Übermut tut selten gut. Seine Mutter ist im Augenblick abgeschnittenen Beinen
und anderen Grauslichkeiten gegenüber sehr empfindlich.
    Also dann nicht! Die
Hühnerpfote verschwindet in Brüders Hosentasche.
    „Bitte, wirf sie weg, Brüder!“
    Er zögert eine Sekunde und
überzeugt sich, ob der Mutter wirklich soviel daran liegt, daß das Hühnerbein
wegkommt. Dann versenkt er es im Mülleimer, aber nicht, ohne vorher noch einmal
die Zehen heftig zucken zu lassen. Toll, was er für ein Zauberkünstler ist.
    „Sonst hast du dich nie so!“
sagt er vorwurfsvoll und klappt den Deckel des Mülleimers zu.
    „Wenn man ein Baby bekommt,
Brüder, dann mag man so etwas nicht sehen!“
    „Frösche auch nicht?“
    „N e i n!!“
    „Ich hab’ nämlich einen...“
    „B r ü d e r!!!“
    „Brauchst keine Angst zu haben.
Er ist tot! R i c h t i g tot, meine ich. Der kann nicht mehr zappeln!“ Er
kramt in seiner Hosentasche. „Den hat ein Auto überfahren. Er ist breit wie ‘n
Eierkuchen. Na, wo ist er denn?“
    „Komm, zeig ihn mir lieber
nicht. Ich ekele mich!“ Die Mutter blickt weg. Ihr ist übel.
    „Aber wenn ich ihn in den
Mülleimer werfe, dann siehst du ihn nachher ja doch!“ ruft Brüder. Plötzlich
stutzt er. Es scheint seiner Mutter wirklich keinen Spaß zu machen. Das ist
schlimm. „Weißt du“, tröstet er sie sofort, „ich schmeiß’ ihn gleich zum Fenster
‘raus, dann ist er verschwunden!“ Und bevor er noch zu Ende gesprochen hat,
fliegt der Frosch schon aus dem Küchenfenster und segelt durch die Luft.
    „Nein“! ruft die Mutter. Aber
da ist es schon zu spät.
     
     

Eine
Suppenterrine steht im Fenster
     
    Günthers wohnen in der zweiten
Etage. Der Frosch hat einen richtigen Gleitflug vor sich. Da er plattgefahren
ist und nur noch aus Haut besteht, schwebt er wie ein Stück Pergamentpapier
abwärts und hat es gar nicht eilig, unten anzukommen. Unten, das ist der große
Hof des Neubaublocks mit Rasenflächen, ein paar Pappelbäumen, den Klopfstangen
für die Teppiche und dem Gebüschviereck, in dem die Mülltonnen stehen, also ein
riesiges Landefeld für einen herabsegelnden Frosch.
    Im Erdgeschoß wohnen
Zatterstegs. Nette ältere Leute. Sie haben keine Kinder, und deshalb ist Frau
Zattersteg auch nicht besonders gut auf Kinder zu sprechen. Kinder machen ihr
zuviel Spektakel. Sie poltern über die Treppen. Sie bringen Schmutz ins Haus.
Sie lachen und singen. Das geht ihr auf die Nerven, und deshalb muß sie öfters
mit den Kindern schimpfen. Herr Zattersteg arbeitet bei der Post am Schalter.
Er ist immer höflich, immer geduldig und freundlich, also genauso, wie man
Beamte gern leiden mag. Aber ausgerechnet heute haben in seiner Kasse zwanzig
Mark gefehlt.

    Zwanzig Mark sind eine Menge
Geld, und Herr Zattersteg ist ein pflichttreuer Beamter, bei dem es immer auf
den Pfennig gestimmt hat. Er hat das ganze Postamt auf den Kopf gestellt. Er
hat die Mappen mit Briefmarken hundertmal durchgesehen, alle Postbücher um- und
umgewälzt, seine Listen nachgerechnet, alle Formularpäckchen
auseinandergenommen und wieder zusammengepackt. Die zwanzig Mark blieben
verschwunden. Man kann sich vorstellen, in welcher Stimmung Herr Zattersteg
nach Hause kommt.
    Frau Zattersteg hat eine
Reissuppe mit Hühnermägen gekocht. Reissuppe ißt ihr Mann für sein Leben gern.
Hühnermägen sind nicht teuer, und deshalb freut sich Frau Zattersteg, denn ihr
Wirtschaftsgeld reicht bei den heutigen Preisen weder vorn noch hinten. Damit
die Suppe ein wenig abkühlt, hat sie die Terrine ohne Deckel auf das
Fensterbrett gestellt und das Fenster weit aufgemacht. Die Luft ist so
herrlich, und der Dampf
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