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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise
Autoren: Berte Bratt
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Sessels.
    „Wenn eine Ärztin und eine Oberschwester sich über eine Diagnose einig sind, kommt es einer Schülerin nicht zu, zu widersprechen, Schwester Lise. Sie hatten ein Unwohlsein, und wir hoffen, Sie haben sich davon erholt. Sie haben sich gegen die Tür gelehnt, weil Ihnen schwindlig geworden war. Verstanden?“
    Eirin verstand. Sie blickte von der einen zur anderen. Dann ging sie auf die Ärztin zu und reichte ihr die Hand. Sprechen konnte sie nicht. Auch der Oberschwester gab sie die Hand.
    „Wir hoffen, daß Sie gut schlafen, Schwester Lise. Dr. Randers hat Sie für morgen in den Operationssaal bestellt. Es wird sicher ein heißer Vormittag. Gallensteinoperation! Da müssen Sie ausgeruht und in bester Verfassung antreten.“
    „Hat der Herr Doktor mich wirklich angefordert?“
    „Ja, natürlich hat er das. Jetzt platzen Sie mal bloß nicht vor Stolz!“
    „Nein“, flüsterte Eirin. Dann richtete sie ihre braunen Augen auf die Oberschwester.
    „Ich bin nur so froh.“
    „So soll es sein, Schwester Lise! Nichts macht einen so froh wie die Arbeit, und es gibt nichts Schöneres als das Gefühl, der Aufgabe gewachsen zu sein, vor die man gestellt wird.“ Das hatte Frau Dr. Claussen gesagt.
    Eirin ging zur Tür zurück und knickste wie ein kleines Mädchen.
    „Gute Nacht - und tausend Dank.“
    „Gute Nacht! Und, Schwester Lise - hören Sie noch eben! Denken Sie dran; die Schweigepflicht gilt nicht nur für Ärzte! Sie gilt auch für Krankenschwestern, und sie gilt vor allem für Schülerinnen.“
    Da lächelte Eirin und reckte ihren Rücken.
    „Daran werde ich denken, Frau Doktor! Ich bin mir völlig darüber klar, welche Dinge unter die Schweigepflicht fallen! Wirklich, ich bin jetzt wieder ganz in Ordnung nach dem schlimmen Unwohlsein heute vormittag!“

20
    Nach all den Monaten quälender Ungewißheit empfand Eirin es fast als Erlösung, endlich Gewißheit zu haben, so traurig diese auch war. Sie litt. Aber jetzt wußte sie, was sie zu tun hatte! Wenn Dr. Randers so zufrieden mit ihr war, konnte sie vielleicht fest angestellt werden. Also hieß es arbeiten, arbeiten und das Examen schaffen. Dann stand sie fest auf eigenen Füßen.
    Von Tante Bertha waren einige Briefe gekommen. Sie hatte sie zerrissen, ohne sie gelesen zu haben. Tante Bertha hatte sie auch im Stich gelassen! Sie hielt also zu Halfdan, und jetzt blieb sie da oben und führte den beiden das Haus - eine Art illegitime Schwiegermutter von Schwester Vera.
    Nein, es war schon das einzig richtige, mit allem zu brechen, was mit Halfdan und der Vergangenheit zusammenhing. Ihre Welt war das Krankenhaus, dort wollte sie bleiben. Freunde hatte sie zum Glück. Auf Stoffer Gard konnte sie rechnen; er lud sie an ihren freien Tagen ein, schenkte ihr hier und da Blumen und brachte ihr Näschereien.
    Fredrik war jederzeit für sie da; nur hatte sie es nicht leicht mit ihm. Denn er liebte sie anscheinend wirklich. Die ganze Geschichte wurde um so verwickelter, als sie sich selbst darin nicht mehr auskannte.
    An Bord des Dampfers damals, als sie an Halfdan gebunden war, hatte Fredrik erreicht, daß ihr Herz in sehr unerlaubter Weise klopfte. Jetzt, da sie frei und ungebunden war und ganz allein in der Welt stand, jetzt, da sie sich selbst nach Herzenslust verlieben konnte -jetzt ließ er sie kalt. Eine gesicherte, wunderbare Zukunft lag zum Greifen nahe vor ihr, wenn sie nur ja sagte.
    Da reiste Fredrik plötzlich ab. Er rief sie eines Tages an und erklärte kurz und bündig, daß er am nächsten Tag in den Süden fahre.
    „Wann kommst du wieder, Fredrik?“
    „Ach - in einem halben Jahr vielleicht. Solange warte ich, Lise. Wenn ich zurückkomme, will ich klaren Bescheid haben. Verstehst du mich?“
    „Den sollst du haben.“
    „Dann bist du mit deiner Ausbildung fertig. Bisher, das weiß ich, ist die Arbeit vorgegangen, und ich bin Nummer zwei gewesen. Aber ich will Nummer eins bei dir sein, Lise, hörst du? Ich verstehe deinen Ehrgeiz, dieses Examen zu machen, und deshalb erhebe ich dagegen keinen Einspruch. Laß es dir gutgehen, Liselchen. Ich schicke dir hin und wieder eine Karte.“
    „Gute Reise, Fredrik. Wirst du arbeiten oder - “
    „Ich arbeite zunächst an einer Augenklinik in Paris, ja. Soll dort einen Arzt vertreten, einen Jungen, mit dem ich mich angefreundet habe, als ich zuletzt unten war. Ich schicke dir meine Adresse.“ „Vielen Dank. Ich werde oft an dich denken.“
    „Nicht so oft wie ich an dich. Auf Wiedersehen,
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