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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise
Autoren: Berte Bratt
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    „Ich habe selbst, danke. Wenn ich darf - “
    „Ja, selbstverständlich. Du rauchst genausoviel wie früher, sehe ich?“
    „So? Du erinnerst dich noch, daß ich viel rauchte?“
    „Ich erinnere mich an alles damals, Marit.“ Frau Dr. Claussen tat einen tiefen Zug aus der Zigarette, als müßte sie sich für das, was sie jetzt sagen wollte, sammeln.
    „Erinnerst du dich auch an die letzten Worte, die ich zu dir sagte, ehe wir damals auseinandergingen?“
    „Ich werde sie nie vergessen. Du sagtest: ,Du bist es, die mein Leben zerstört hat, und das verzeih’ ich dir nie.’“
    „So war es, ja.“
    „Und ich habe dir gegenüber das gleiche Gefühl gehabt. Ich habe dich viele Jahre lang gehaßt, Marit.“
    „Und ich dich, Agathe.“
    „Und du kommst trotzdem zu mir - jetzt plötzlich?“
    „Ja, das tue ich. Du und ich, wir wurden damals unglücklich um eines Mannes willen. So gut wir beide auch zusammenpaßten, so vertraut wir miteinander waren! Eine Freundschaft wie die unsrige habe ich später nie wieder gefunden.“
    „Ich auch nicht.“
    „Dann wurde ich einsam - “
    „Auch ich konnte mich an niemanden mehr anschließen. So komme ich denn mit der Frage zu dir, ob wir uns nach so vielen langen Jahren nicht aussprechen und diesen Haß begraben sollten?“
    „Wenn du es willst, will ich es auch. Aber wieso kommst du so plötzlich - entschuldige, daß ich dich frage, aber - “
    „Ich mußte heute kommen. Denn du und ich, wir müssen gemeinschaftlich eine gute Tat vollbringen. Da gibt es etwas, worum ich dich bitten möchte; aber das kann ich nicht, ehe nicht zwischen uns reiner Tisch gemacht ist.“
    Sie schwiegen beide. Die Doktorin rauchte. Die Oberschwester lehnte sich im Sessel zurück, und ihre klugen Augen waren auf die andere gerichtet - auf den Menschen, den sie am meisten geliebt und am meisten gehaßt hatte.
    Zwanzig Jahre war das jetzt her. Sie waren Studienkameradinnen gewesen und so gut befreundet, wie es zwischen Frauen überhaupt möglich ist.
    Bis der Mann dazwischentrat.
    Er war ebenfalls Medizinstudent, einige Jahre älter als die beiden jungen Mädchen. Sie lernten ihn gleichzeitig kennen und verliebten sich beide in ihn. So ging ihre Freundschaft zugrunde. Aus ihren Trümmern erwuchs unversöhnlicher Haß.
    Der Mann entzog sich dem Kampf der beiden Frauen, von denen keine verzichten wollte, und fuhr als Schiffsarzt mit einem Walfänger hinaus.
    Drei Monate später fand er den Tod.
    Agathe brach zusammen. Verzweifelt gab sie ihr Studium auf und fuhr nach Hause. Ein gutes Jahr später ging sie in die Krankenpflege.
    Als sie die Stellung einer Oberschwester an diesem Krankenhaus antrat, entdeckte sie, daß auch Marit hier als Assistenzärztin tätig war. Aber jede arbeitete in ihrer Abteilung, und sie sahen sich so gut wie nie.
    Marit fand sich schneller ab. Sie suchte Vergessen, indem sie sich mit doppeltem Eifer ihrer Arbeit ergab. Sie schuftete und rackerte, machte ihr Examen und spezialisierte sich auf innere Medizin. So wurde sie in jungen Jahren Oberärztin in der inneren Abteilung des großen Krankenhauses.
    Der unversöhnliche Haß aber blieb. Eine jede gab der anderen die Schuld am Tode des Mannes.
    Und dieser alte Haß sollte in dieser Abendstunde aus der Welt geschafft werden.
    Als zwei Stunden vergangen waren und die Blumenschale, die Marit anstelle eines Aschenbechers benutzt hatte, voller Stummel lag, stand Agathe auf und reichte Marit die Hand:
    „Wir waren beide sehr dumm, Marit. Wir haben beide falsch gehandelt. Aber was du für Dummheiten gemacht hast, geht mich nichts an. Ich habe meine eigenen Torheiten zu verantworten. Und um dieser willen bitte ich jetzt dich um Verzeihung.“
    „Wenn ich dir vergeben soll, Agathe, dann mußt du mir auch vergeben. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, unsere alte Freundschaft zu erneuern.“
    Noch eine Stunde verging. Es war spät geworden. Die Oberschwester hatte Tee gekocht.
    „Sag mir mal, Marit, weshalb bist du gerade heute zu mir gekommen? Wir sollten eine gute Tat vollbringen, sagtest du?“
    „Ja, es handelt sich um Schwester Lise in deiner Abteilung.“
    „Was weißt denn du von ihr?“
    „Ich weiß, daß sie ein zutiefst unglückliches Menschenkind ist. Und ich weiß, daß du vermutlich die Absicht hast, sie aus dem Krankenhaus zu weisen.“
    „Weißt du, welches Vergehens sie sich schuldig gemacht hat?“ „Ja, ich weiß es. Aber, siehst du - es ist nicht so einfach -, hier mußt du dich ganz und gar
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