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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise
Autoren: Berte Bratt
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schweren Schlag, und der Schriftsteller plumpste wie ein Sack auf die Fliesen des Hausflurs.
    Und eine Stimme, die sie nie gehört hatte, eine Stimme, die heiser war vor Erregung, drohte:
    „Wagen Sie es noch einmal, in meiner Gegenwart eine Dame zu belästigen, Sie betrunkener Straßenlümmel!“
    Eirin wußte nicht, wie die nächsten Minuten sich abgespielt hatten. Sie entsann sich noch undeutlich, daß draußen ein Auto anhielt, daß Storm Torgersen wieder auf die Beine kam und daß jemand ihn ins Auto brachte.
    Plötzlich stand sie an dem hellen Frühlingsmorgen draußen auf der Straße und weinte in ein großes Herrentaschentuch. Und dann nahm irgend jemand ihren Arm, und kurz darauf wandelten sie und Halfdan Hoek in der aufgehenden Sonne die Kirchenstraße entlang.
    Er hatte nicht viel gesagt, bis sie vor Eirins Haustür ankamen. Sie kramte in der Tasche nach dem Schlüssel, und Halfdan wartete, bis sie aufgeschlossen hatte.
    Sie reichte ihm die Hand, und er behielt sie fest in der seinen. Er lächelte ihr zu, und plötzlich wunderte sich Eirin, daß sie früher nie bemerkt hatte, wie schön sein Lächeln war.
    „So ein kleines Mädchen sollte immer jemand haben, der auf sie aufpaßt“, sagte Halfdan. Er hob ihre schmale kleine Hand zu sich empor und betrachtete sie. „So eine kleine Hand kann nicht um sich schlagen. Die ist dafür nicht gemacht.“
    Eirin wußte später nie, wie es zu ihrer einfachen Antwort gekommen war. Und Halfdan hatte sie sicher am allerwenigsten erwartet.
    „Willst du nicht morgen - ich meine heute nachmittag zu uns kommen, zu meiner Tante und mir, und bei uns Kaffee trinken?“ fragte sie.
    Später, viele Monate später, hatte Halfdan ihr zu erklären versucht, daß sich bei ihr in jenen Sekunden eine schnelle Gedankenreihe abgerollt habe, bevor sie die Einladung aussprach. Diese Gedankenreihe habe etwa folgendermaßen ausgesehen:
    „Im Grunde bin ich ihm sehr dankbar; wenn ich doch bloß was für ihn tun könnte! Aber jetzt muß ich machen, daß ich raufkomme. Hoffentlich merkt Tante Bertha nicht, wie spät es ist! Halfdan würde sicher der Tante Bertha gut gefallen. Eigentlich könnte ich ihn doch mal zum Kaffee einladen.“
    So lud sie ihn denn ein. Und nachmittags kam er.
    „Dieser Kaffee hat über mein ganzes Leben entschieden“, sagte Halfdan, als sie schon verlobt waren. „Ich fand immer, du wärst ein niedliches kleines Ding. Als ich aber sah, wie tüchtig und schnell und geschickt du im Haushalt warst, da verliebte ich mich in dich; und als ich hörte, du seist höflich und rücksichtsvoll gegen deine Tante, da gewann ich dich ganz einfach lieb; und als ich entdeckte, daß du ganz vernünftig reden konntest und nicht nur einen Haufen dummes Zeug, da kam mir allmählich der Gedanke, daß du sicher die einzig Richtige für mich seist; und als Tante Bertha mir erzählte, du habest in deinem ganzen Leben noch nie eine Puderquaste oder einen Lippenstift besessen - da - ja, da - “
    „Da hieltest du um meine Hand an“, sagte Eirin.
    Eirin saß noch immer auf dem Bettrand und grübelte. Wieviel doch seitdem geschehen war!
    Tante Bertha war entzückt von der Verlobung.
    „Hättest du Halfdan nicht genommen, dann hätt’ ich‘n selber genommen!“ sagte Tante Bertha, deren Sprache immer um einige Grade weniger gepflegt war, je fröhlicher sie war. Und jetzt war sie ganz aus dem Häuschen vor Freude.
    Die prachtvolle, liebe Tante Bertha! Sie hatte Eirin Mutter und Vater ersetzt. Sie war die jüngere Schwester ihres Vaters, und Eirin war an dem Tag zu ihr gekommen, als ihr Vater starb. Die Mutter war gestorben, als Eirin noch in der Wiege lag, den Vater verlor sie mit acht Jahren.
    Seitdem war Tante Bertha alles für sie gewesen. Sie hatte ihre Kleider genäht, ihre Tränen getrocknet, sie durch alle Kinderkrankheiten hindurch gepflegt, ihre Strümpfe gestopft, sie zu allen Examensfeiern in die Schule begleitet, ihr die Schulaufgaben abgehört - alles hatte Tante Bertha getan. Und Tante Bertha hatte ihr geraten, aufs Handels gymnasium zu gehen - und Tante Bertha hatte ihr gleich hinterher eine Bürostellung verschafft.
    Tante Bertha war es auch, die gesagt hatte, sie müsse einen Krankenpflegekursus mitmachen, und zwar je eher, desto besser. Wenn sie Arztfrau werden sollte, mußte sie doch ihrem Mann bei seiner Arbeit helfen können!
    Und Eirin besuchte mit einigen Freundinnen zusammen, die sie auch dafür gewonnen hatte, einen Krankenpflegekursus. Sie hatten ihren Spaß
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