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Schwester Lise

Schwester Lise

Titel: Schwester Lise
Autoren: Berte Bratt
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- mit ihr und Tante Bertha. Er wußte, Eirin würde seinem Plan zustimmen. Er wußte, sie würde verlangen, daß sie sofort heirateten, und er würde erneut den Beweis erhalten, daß ihre Liebe echt war. Diese Liebe konnte von keinem Wintersturm weggeweht, von keiner Dunkelheit verfinstert, von keiner Polarkälte abgekühlt werden.
    Halfdan hörte ihr mit einem matten kleinen Lächeln zu. Wie jung, unbekümmert und vertrauensvoll sie war, sein kleines Mädchen - so sicher und zuversichtlich in ihrer unerschütterlichen Liebe, so voller Optimismus, voller Glaube an die Zukunft und voller gesundem, neugierigem Appetit auf das Leben.
    Er wandte sich in seiner Hilflosigkeit an Tante Bertha. Sie saß da, schweigend und nachdenklich, und blickte von einem zum andern.
    Plötzlich legte sie ihre breite Faust gegen die Tischkante - eine Angewohnheit von ihr, wenn sie ihren Worten Gewicht verleihen wollte:
    „Hör zu, Eirin! Und du auch, Halfdan! Ich denke, wir werden dies Knäuel entwirren können. Nimm Eirin mit dir dort hinauf. Du müßtest ohnehin eine Sprechstundenhilfe haben, nicht wahr? Gut! Eirin braucht keinen Lohn. Dann benötigst du eine Wirtschafterin. Ich bewerbe mich darum. Ich brauche auch keinen Lohn. Es wäre also eine geschickte Finanzoperation von dir, wenn du uns anstellen würdest. Wir bleiben den Winter über oben. Wenn Eirin dann noch immer den Wunsch hat, dich zu heiraten, und sie hat den Mut, Kreisarztfrau in Frostviken zu werden, dann heiratet, und meinen Segen habt ihr!“
    „Tante Bertha, du bist - “
    Ein Tausendsassa, wollte Halfdan sagen. Aber Eirin unterbrach ihn hastig. Sie richtete die großen samtbraunen Augen auf ihn - die waren voller Tränen und Vorwürfe.
    „Pfui, ihr solltet euch alle beide schämen! Meint ihr, ich sei so ‘n verzogenes Zierpüppchen, das nicht ordentlich zupacken kann? Meint ihr, ich liebe Halfdan, oder aber, ich hätte es darauf abgesehen, eine wohlhabende Arztfrau zu werden mit Persianer und Bridgeklub? Pfui, pfui, daß ihr so an mir zweifeln könnt!“
    Und Eirin schluchzte, als sollte ihr das Herz brechen.
    In diesem Augenblick kamen sich Halfdan und Tante Bertha vor wie zwei Verschworene. Aber es kostete sie viel Diplomatie und viel Überredungskunst, bis Eirin, wenn auch widerstrebend, dieser Regelung zustimmte und schließlich in bester Stimmung an jenem Oktobertag den Zug nach Bergen bestieg.
    Und nun hatte die Reise begonnen.
    Eirin hörte die Schritte hinter sich. Dann fühlte sie einen Arm um ihre Schultern und einen wannen Hauch an ihrer Wange. „Da bist du ja!“
    „Hmmm“, schnurrte Eirin wie ein junges Kätzchen, das man hätschelt. Sie rieb ihren Kopf an seiner Schulter.
    „Schön, daß wir soweit gekommen sind, du!“
    „Hmmm.“
    „Schau mal! Im Norden hellt es sich auf!“
    Eirin blickte in die Ferne. Die Wolkendecke war etwas aufgerissen. Ein Streifen blauen Himmels glänzte auf.
    „Es ist das Licht über unserer neuen Heimat, Halfdan, über unserem Märchenland. Denn weißt du - “, Eirin sah ihn groß an, „wenn auch der Ort einen so abscheulichen Namen hat und Frostviken heißt, so wird es ein Märchenland sein - wenn du und ich es in Besitz nehmen!“
    Halfdan drückte ihren Kopf an seine Brust. Seine Augen suchten das Nordlicht.

2
    Arme Tante Bertha!
    Sie hatte von dem üppigen Abendbrottisch aufstehen müssen, sie hatte obendrein noch sehr schnell aufstehen müssen, sie hatte sich nicht einmal Zeit gelassen, ihre Serviette zusammenzulegen. Auf ihrem Teller lag noch ein Stück kaltes Geflügel und daneben eine angebissene Scheibe Brot.
    Eirin wußte nicht recht, ob sie ihr nachgehen sollte. Vielleicht müßte sie der Tante ihre Hilfe anbieten - obwohl - wie kann man eigentlich einem seekranken Menschen helfen? Die Leiden der Seekrankheit muß man ganz und gar allein durchstehen. Außerdem fühlte Eirin sich selbst nicht so ganz sicher. Gesetzt den Fall, sie würde auch krank werden, dann wäre es doch für Halfdan sehr ärgerlich, allein dazusitzen, mit leeren Stühlen zu beiden Seiten.
    So beschwichtigte Eirin ihr Gewissen und versah sich ruhig und gelassen mit Schinken und Rührei.
    Tante Bertha war in ihre Koje gegangen, und da blieb sie während der ganzen Reise.
    „Ich bin so komisch eingerichtet, weißt du“, vertraute sie Eirin an. „Wenn ich nur langliegen kann, dann geht es mir gut, dann mag der Dampfer von mir aus gerne kopfstehen, das stört mich nicht. Aber sowie ich versuche, aufrecht zu gehen, ist es um mich
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