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Schwertgesang

Schwertgesang

Titel: Schwertgesang
Autoren: Bernard Cornwell
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fuhr mit einem Wetzstein über die Klinge seines Kurzschwertes. »Sie sagt, sie liebt mich«, erklärte er mir.
    »Natürlich sagt sie das«, sagte ich.
    Er hielt inne, und als er weitersprach, klang seine Stimme lebhafter, als hätten ihn meine Worte ermutigt. »Und ich muss jetzt schon neunzehn Jahre alt sein, Herr! Vielleicht sogar zwanzig!«
    »Achtzehn?«, schlug ich vor.
    »Ich könnte schon seit vier Jahren verheiratet sein, Herr!«
    Wir sprachen beinahe flüsternd. Die Nacht war voller Geräusche. Das Wasser murmelte, die kahlen Zweige schlugen im Wind gegeneinander, ein Nachttier sprang klatschend in den Fluss, eine Füchsin heulte wie eine tote Seele, und irgendwo rief eine Eule. Das Schiff knarrte. Sihtrics Wetzstein zischte und kratzte über den Stahl. Ein Schild schlug dumpf gegen eine Ruderbank. Trotz all dieser nächtlichen Geräusche wagte ich es nicht, lauter zu sprechen, denn das feindliche Schiff lag stromaufwärts vor uns, und die Männer, die von diesem Schiff aus an Land gegangen waren, hatten bestimmt Wachen an Bord zurückgelassen. Diese Wachen mochten uns gesehen haben, als wir auf der mercischen Uferseite stromabwärts gefahren waren, doch mittlerweile würden sie bestimmt annehmen, dass wir uns weit Richtung Lundene entfernt hatten.
    »Aber wer will eine Hure heiraten?«, fragte ich Sihtric.
    »Sie ist...«, setzte Sihtric an. »Sie ist alt«, knurrte ich, »vielleicht schon dreißig. Und verdorben ist sie obendrein. Ælswith muss einen Mann nur sehen, und schon macht sie die Beine breit! Wenn du jeden Mann aufstellen würdest, der diese Hure besprungen hat, dann hättest du eine Armee vor dir, mit der du ganz Britannien erobern könntest.« Neben mir kicherte Ralla. »Und wärst du auch in dieser Armee, Ralla?«, fragte ich.
    »Mit mehr als zwanzigfacher Sicherheit, Herr«, sagte der Schiffsführer.
    »Sie liebt mich.« Sihtric klang trotzig.
    »Sie liebt dein Silber«, sagte ich, »und außerdem, warum sollte man ein neues Schwert in eine alte Scheide stecken?«
    Es ist merkwürdig, über was Männer vor dem Kampf so reden. Über alles, außer über das, was sie vor sich haben. Ich habe in einem Schildwall gestanden, vor mir den Feind mit hell blitzenden Klingen und finster drohenden Mienen, und da hörte ich zwei meiner Männer wild darüber streiten, welche Schänke das beste Bier braut. Angst umhüllt uns wie eine Wolke und wir reden über Nichtigkeiten, weil wir so tun wollen, als gäbe es diese Wolke nicht.
    »Such dir was hübsches Junges«, riet ich Sihtric. »Die Tochter dieses Töpfers ist alt genug zum Heiraten. Sie muss jetzt dreizehn sein.« »Die ist dumm«, wandte Sihtric ein. »Und was bist du?«, wollte ich von ihm wissen. »Ich gebe dir Silber, und du wirfst es in das nächstbeste Loch! Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, trug sie einen Arm-ring, den ich dir gegeben hatte.«
    Er schniefte und sagte nichts mehr. Sein Vater war Kjar-tan der Grausame gewesen, ein Däne, und seine Mutter eine der sächsischen Sklavinnen, die Kjartan besprungen hatte. Doch Sihtric war ein guter Junge, obwohl er in Wahrheit kein Junge mehr war. Er war ein Mann, der im Schildwall gestanden hatte. Ein Mann, der getötet hatte. Ein Mann, der heute Nacht wieder töten würde. »Ich suche dir eine Frau«, versprach ich ihm. Und da hörten wir die Schreie. Sie waren nur schwach zu vernehmen, denn sie kamen von weit weg, waren kaum mehr als kratzende Geräusche in der Dunkelheit und zeugten von Schmerz und Tod in südlicher Richtung. Schreie und Rufe. Frauen schrien, und zweifellos starben Männer. »Verflucht sollen sie sein«, sagte Ralla bitter. »Das ist unsere Arbeit«, sagte ich knapp. »Wir hätten ...«, fing Ralla an, doch dann überlegte er es sich anders und schwieg. Ich wusste, was er hatte sagen wollen, dass wir nämlich das Dorf hätten beschützen sollen, doch er wusste auch, was ich geantwortet hätte.
    Ich hätte ihm erklärt, dass wir nicht wussten, welches Dorf die Dänen angreifen würden, und selbst wenn, hätte ich es nicht geschützt. Wir hätten das Dorf decken können, wenn wir gewusst hätten, wo die Angreifer ihren Vorstoß machen würden. Ich hätte meine gesamte Haustruppe auf die kleinen Hütten verteilen und, in dem Moment, in dem die Feinde kamen, mit Schwertern, Äxten und Speeren ausbrechen können, und wir hätten einige von ihnen getötet, aber in der Dunkelheit wären noch viel mehr von ihnen entkommen, und ich wollte nicht, dass auch nur einer von ihnen
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