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Schwerelos

Schwerelos

Titel: Schwerelos
Autoren: Ildikó von Kürthy
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ein alkoholisches Kaltgetränk ein. Und deine rausgewachsene Dauerwelle und deine Schlupflider kannst du nicht mit deinen profunden Kenntnissen in Altgriechisch ausgleichen.
    Andererseits: Brüste und Schönheit sind vergänglich. Und wenn du heute schön und doof bist, dann bist du in fünfzehn Jahren nur noch doof. Und das ist dann nicht mehr schön.
    «Wollen Sie noch ein, zwei Tage hier ausruhen oder lieber gleich nach Hause?», fragt die Hebamme.
    «Nach Hause. Ich bin mit zwei Vätern und einer Patentante ja gut versorgt. Vielen Dank, dass Sie mein Baby auf die Welt gebracht haben. Und vielen Dank dafür, dass ihr meine Familie seid», sagt Leonie zu uns gewandt. Und ich und Erdal und Karsten und die Hebamme weinen.
    «Wie soll das kleine Spätzchen denn heißen?», fragt die Hebamme und tupft sich die Augen mit einer Mullwindel.
    «Joseph?», schlägt Karsten vor.
    «Ja», sagt Leonie. «Joseph Erdal Karsten Karim Goldhausen.»

«Wer wenig will, bekommt auch wenig»

    So ist das also, wenn man aufwacht und siebenunddreißig Jahre alt ist. Ich schaue unter die Decke. Ich bin noch da. Ich bin nicht über Nacht zu Staub zerfallen oder zu einer Dörrpflaume zusammengeschrumpelt. Schon mal erfreulich.
    Ob ich mir zu meinem Geburtstag eine Brustvergrößerung schenke? Was hatte Erdal gesagt? «Zwei-, dreihundert Gramm auf jeder Seite würden schon genügen.»
    Frank hätte so einen Eingriff sicherlich abgelehnt. «Ich liebe dich so, wie du bist», hätte er behauptet. Aber die Wahrheit ist, dass er es wahrscheinlich gar nicht gemerkt hätte. Ich hätte beim Sex eine Gasmaske tragen können, es wäre ihm kaum aufgefallen. Er war nie besonders aufmerksam – was unter anderem daran lag, dass ich nie besonders auf mich aufmerksam gemacht habe.
    Aber jetzt muss ich mich ja wieder auf dem freien Markt behaupten, muss Männern gefallen, reizvoll sein, enge Hosen tragen und Brüste, die ein ordentliches Körbchen brauchen. Ich muss signalisieren, dass ich zwar zu haben, aber keinesfalls verzweifelt bin. Ich muss mich lässig an den Mann bringen. Muss suchen, ohne zu brauchen.
    Aber ich weiß gar nicht mehr, wie das geht. Genau genommen habe ich es nie gewusst. Bin nicht so der Typ, dermit seinen weiblichen Reizen zu reizen verstünde. Ich werde es wohl lernen müssen, wenn ich post mortem auf ein Doppelgrab spekuliere. Vielleicht frage ich mal Regina. Die soll mir einen Crash-Kurs verpassen in sinnlichem Selbstmarketing. Ich habe schließlich einen zufriedenstellenden Body-Mass-Index von dreiundzwanzig. Verdammt, da wird sich doch wohl jemand finden lassen, der sich des dazugehörigen Bodys erbarmt, oder?
    Wie lange werde ich wohl allein sein?
    Meine Gedanken schweigen ein paar Sekunden selbstmitleidig vor sich hin. Dann fällt mir was ein. Das gibt es doch gar nicht! Wie komme ich bloß dazu? Ich bin wirklich eine Schande für meine Tante und für alle emanzipierten Frauen. Ich bin freiwillig Single, und zwar aus guten Gründen! Und mir fällt tatsächlich nichts Besseres ein, als panisch zu überlegen, wie ich so schnell wie möglich wieder einen Mann finden könnte. Wie peinlich, Rosemarie Goldhausen!
    Ich wollte doch frei sein. Jetzt habe ich mich befreit. Aber frei wozu? Was will ich jetzt anfangen mit meinem Hauptgewinn?
    Mir die Titten machen lassen?
    Ich sollte erst mal was aus mir machen!
    Ich drehe mich um. Neben mir liegt keiner. Ein ungewohnter Anblick.
    Ich habe Franks Seite des Bettes abgezogen, um bei seinem Geruch nicht loszuheulen. Aber jetzt finde ich die Aussicht auf eine kahle Matratze, der nicht einmal eine unbenutzte Decke einen Hauch von Bewohntheit und Hoffnung verleiht, auch nicht erquicklich. Sieht aus wie die Eiswüsten am Nordpol.
    Ich sollte mir angewöhnen, in der Mitte des Bettes zuschlafen. Die letzten acht Jahre habe ich am äußersten rechten Rand verbracht, häufig sogar gänzlich unbedeckt, da es sich bei Frank um einen raumgreifenden Schläfer mit Hang zur feindlichen Übernahme von Fremddecken handelte.
    Ich rücke probehalber mal etwas nach links. Ein deutlich verbesserter Liegekomfort. Arme und Beine kann ich ausstrecken, ohne dass sie rausfallen. Ganz erstaunlich. Ich werde mich daran gewöhnen müssen, mehr Platz zu haben. Und vor allem werde ich mich daran gewöhnen müssen, mehr Platz zu beanspruchen.
    Ich muss aufhören zu glauben, die besten Tische, die besten Männer, die größten Gefühle seien immer bereits für andere reserviert. Ich muss mich beschweren, wenn Salz fehlt,
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