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Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)

Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)

Titel: Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)
Autoren: Simone Buchholz
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weiß, dass es sie gibt. Die Flora ist ein richtiger Wallfahrtsort für Linksromantiker.
    Ich liebe die Flora genau dafür. Sie widersetzt sich unglaublich tapfer dem alles überrollenden Fashion-Diktat im Schanzenviertel. Ein guter, gefühlvoller Ort. An dem zwar für meine Bedürfnisse bestimmt viel zu viel palavert wird, der aber an Charme, Durchgeknalltheit und Beständigkeit schwer zu überbieten ist im 21. Jahrhundert. Ich bin überzeugt: Die Flora wird noch richtig lange richtig schön nerven und einfach nicht weggehen. So was mag ich.
    »Wir haben im Wohnzimmer Quarzsand gefunden und winzige Stückchen von schwarzem Leder«, sagt der Calabretta. »Das kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einem geplatzten Quarzsandhandschuh, wie die Autonomen ihn gerne mal tragen, wenn’s zur Sache geht. Außerdem rote und weiße Baumwollfasern, die von einem Palästinensertuch stammen können. Und hinterm Haus lagen ein paar Anarchy-Aufkleber rum, wie vom Wind verstreut.«
    »Das ist doch Blödsinn, Calabretta«, sage ich. »Wer bringt denn jemanden um und lässt dann seine Aufkleber hinterm Haus rumliegen? Und die Flora-Leute, das sind die Guten. Ich weiß das, und Sie wissen das auch.«
    »Die Guten, aber reizbar«, sagt der Calabretta. »Wir müssen dem nachgehen, Chef.«
    »Aber seien Sie bitte nett«, sage ich.
    »Ich bin immer nett.«
    Er lächelt mich an, ich lächle zurück, und dann fasst er mir doch schnell mal kurz an den Oberarm und drückt ihn ganz leicht.
    »Sonst noch was?«, frage ich.
    »Ach ja«, sagt er, »Walt Tucker hätte so oder so nicht mehr lange gelebt. Der Krebs war schon in der Leber angekommen.«
    »Irgendwie ist das alles ziemlich trostlos«, sage ich.
    »Finden Sie?«
    »Finden Sie nicht?«, frage ich.
    »Ich glaube, das ist mir egal«, sagt er und lehnt sich zurück. Er lächelt, und ich finde, er lächelt fast selig. Vielleicht hat Betty Kirschtein ihm verziehen, und die beiden treffen sich wieder. Hab ich da etwa was nicht mitgekriegt?
    »Haben Sie eigentlich schon mitgekriegt, dass wir ab Montag einen neuen Kollegen haben?«
    Äh. Hat das verliebte Lächeln vom Calabretta jetzt was mit dem neuen Kollegen zu tun? Bin ich völlig falsch gewickelt? Ich versuche, nicht weiter drüber nachzudenken.
    »Ich hab gehört, dass jemand kommen soll«, sage ich. »Aber ich hätte jetzt nicht gedacht, dass es so schnell geht.«
    »Der wollte unbedingt zu uns, hat wohl richtig Druck gemacht«, sagt der Calabretta.
    Er grinst in seinen Dreitagebart. Das sieht jetzt doch ganz anders aus. Der macht sich über irgendwas lustig. Schade. Ich dachte schon, da geht doch noch was mit ihm und der reizenden Betty.
    »Was gibt’s denn da zu grinsen?«, frage ich.
    »Scheint ein krasser Karrieretyp zu sein«, sagt er. »Ein Freund von mir kennt den noch aus der Ausbildung. Bin mal gespannt, wie das bei den Herren Brückner und Schulle ankommt.«
    »Bin mal gespannt, wie das bei mir ankommt«, sage ich.
    Karrieretypen hab ich ja gefressen.

SANKT PAULI IST SCHULD,
DASS WIR SO SIND
    C arla hat sich die Haare abgeschnitten. Nicht superkurz, so bis zum Kinn. Sie ist schön wie immer, aber ohne ihre Ultramähne sieht sie für mich doch ein bisschen gewöhnungsbedürftig aus. Die braunen Locken wippten früher ihren halben Rücken runter. Jetzt ist da nur die schwarze Strickjacke. Drunter trägt sie ein graues T-Shirt-Kleid und hohe Hacken. Ich hoffe mal, sie zieht sich noch um, bevor wir ins Stadion gehen. Sonst bin ich bald nicht mehr die Einzige auf dem Weg zur Lungenentzündung.
    Ich kann gar nicht aufhören, ihr auf die kurzen Haare zu kucken. Das ist das erste Mal, seit wir uns kennen, dass meine Haare länger sind als ihre.
    »Findste gut?«, fragt sie, gießt mir heiße Milch auf meinen Kaffee und versucht, eine der vorderen Strähnen vor ihre Augen zu ziehen.
    »Früher konntest du damit einen Schnurrbart vortäuschen«, sage ich.
    »Einen Vollbart!«, sagt sie.
    Richtig, denke ich, so viele Haare waren das. Sie stellt zwei Kaffee und zwei Gläser Wasser auf ein kleines Tablett und bringt es zu den beiden Frauen, die an dem Tisch am Fenster sitzen.
    »Bist du traurig, weil sie ab sind?«, fragt sie.
    Sie steht wieder neben mir an der Theke.
    Sieht irgendwie so aus, denke ich.
    »Vielleicht«, sage ich.
    »Warum? Sehe ich doof aus?«
    »Nein«, sage ich, »du siehst toll aus. Du siehst immer toll aus. Vielleicht ist es auch nur der November. Hattest du das schon länger vor?«
    Ich bin ja immer irritiert, wenn
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