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Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)

Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)

Titel: Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)
Autoren: Simone Buchholz
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Frauen sich die Haare abschneiden. Ich glaube, das macht keine einfach nur so.
    »Seit Jahren«, sagt sie und macht große Augen. »Wirklich, ich wollte schon immer mal Federn lassen. Ich hab lange Haare, seit ich denken kann. Ich bin als die Portugiesin mit den baumelnden Locken geboren worden. Das ist so wahnsinnig langweilig. Irgendwann muss man doch mal eine Revolution auf dem Kopf machen, oder?«
    »Du bist nie langweilig, Carla.«
    »Ich fand das inzwischen schrecklich öde«, sagt sie. »So ist doch viel lustiger.« Sie schüttelt den Kopf, und ihre Locken hüpfen.
    Stimmt. Ist schon lustiger. Und es ist, als hätte sich da plötzlich eine andere Ära in ihr Gesicht geschlichen. Sie sieht zwar immer noch aus wie die dunkle Schönheit vom Mittelmeer, sie hat einfach diesen mafiamäßigen Madonnenlook im Gesicht, aber da ist jetzt noch was anderes. Eine Frau aus den zwanziger Jahren, die wippt und wackelt und Charleston tanzt und sich auf gar nichts festlegen lässt. Eine Französin vielleicht. Je länger ich Carla anschaue, umso besser gefällt mir ihr neuer Haarschnitt. Sie war schon immer wild und schwer zu zähmen. Jetzt hat sie auch die Frisur dazu.
    Sie duckt sich ein bisschen hinter die Kaffeemaschine und flüstert:
    »Da kommt Rocco …«
    Sie ist aufgeregt.
    »Hat dein Lover dich schon mit kurzen Haaren gesehen?«, frage ich.
    Carla schüttelt den Kopf und grinst. Rocco übernimmt jetzt immer Carlas Café, während wir beim Fußball sind. Rocco übernimmt inzwischen eine ganze Menge, er hat sich festgesetzt in Carlas Leben. Er hat sich in ihrem Herzen eingenistet wie keiner zuvor. Auch wenn er ein Schlitzohr und ein Halunke ist: Bei allem, was mit Carla zu tun hat, ist er der beste Mensch, den man sich vorstellen kann. Er beschützt sie, behütet sie, unterstützt sie, schenkt ihr Glück und Freude und Lachen und lässt sie machen, was sie will. Er ist immer da, aber er nervt sie nicht. So was muss man erst mal hinkriegen.
    »Frau Staatsanwältin, habe die Ehre«, sagt er und tippt mit dem rechten Zeigefinger an seine Coppola-Mütze. Er trägt einen abgewetzten braunen Cordanzug, einen schwarzen Rollkragenpullover und braune Schlangenleder-Cowboystiefel. Er schiebt sich hinter die Theke, nimmt Carlas Gesicht in beide Hände, gibt ihr einen Kuss und sagt: »Du bist aber auch ein schönes Ding.«
    Er tritt ein Stück zurück und schaut sie noch mal genauer an.
    »Haare ab. Schick.«
    Das ist alles. Er zieht sein Sakko aus, greift unter den Tresen, holt eine lange, dunkelblaue Schürze raus und bindet sie sich um die knochigen Hüften.
    »Und jetzt haut schon ab«, sagt er. »Der FC Sankt Pauli von 1910 wartet auf euch.«
    *
    Wir stehen im Stadion. Die Mannschaften laufen ein. Es ist kalt, und aus den Lautsprechern tönen die Höllenglocken von ACDC. Ich trinke Bier und rauche Zigaretten, und ich weiß nicht, ob es am Fußball liegt oder an all den beruhigenden Totenkopfflaggen, aber: Ich hab seit zwanzig Minuten nicht mehr gehustet. Carla rührt ihr Bier nicht an. Rauchen will sie auch nicht. Und als ihr Lieblingsspieler, der smarte Verteidiger mit der Nummer 14, nach einer Ecke ein kraftvolles Kopfballtor macht, beugt sie sich nach vorn und kotzt auf die Tribüne.
    »Was zum Teufel ist los mit dir?«, frage ich.
    Sie wischt sich mit ihrem Jackenärmel den Mund ab, kuckt mich an, kuckt aufs Spielfeld, kuckt wieder zurück zu mir und sagt:
    »Ich bin schwanger.«
    Jetzt muss ich doch husten. Und als ich fertiggehustet habe, sage ich:
    »Ich hol mal schnell neues Bier.«
    *
    Es ist kurz vor der Halbzeitpause, am Bierstand ist noch nicht viel los. Nur einer ist schon da. Der ist eigentlich immer da, wenn ich Bier hole, ich glaub, der verbringt die Spiele tuttamente am Bierstand. Er sieht aber gar nicht aus wie ein Kampftrinker. Ganz im Gegenteil. Gepflegtes Äußeres. Dunkle, akkurat frisierte Haare, gut geschnittener, sauberer Mantel, eleganter weißer Schal, geputzte Stiefel. Er hat ein bisschen was von Falco in seinen besten Jahren. Vielleicht geht er ja genau wie ich einfach gerne fünf Minuten vor der Halbzeitpause Bier holen, will auch dem Gedränge zuvorkommen. Mir gibt das ein Gefühl von Kontinuität, dass er hier immer neben mir steht. Und gerade jetzt, in so einem Moment, in dem sich viel verändern wird, weil meine einzige Freundin mir gesagt hat, dass sie ein Kind erwartet, tut es gut, den ewigen Falcomann zu sehen. Ich bin ja nicht die beste Besetzung für große Veränderungen.
    Er ist vor
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