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Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)

Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)

Titel: Schwedenbitter: Ein Hamburg-Krimi (Droemer) (German Edition)
Autoren: Simone Buchholz
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dem Calabretta am Schreibtisch zu sitzen. Ich weiß nicht, warum, aber ich fühle mich bei meinem Kripo-Kollegen immer aufgehoben, egal auf was für kaputten Biografien wir gerade rumdenken.
    »Ich war heute Morgen noch mal in der Wohnung der Tuckers«, sage ich.
    »Wieso das denn?«, fragt der Calabretta.
    »Keine Ahnung«, sage ich, »ich wollte da einfach hin. Und ich hab mich ein bisschen in Wilhelmsburg umgeschaut.«
    »Wollen Sie da hinziehen?«, fragt der Calabretta und grinst.
    Im Leben nicht. Mich kriegen die nicht mit ihrem Stadtteil-Marketing-Scheiß.
    »Wollen Sie da hinziehen?«, frage ich.
    »Mannaggia!«, sagt der Calabretta, und ich habe keine Ahnung, was das heißt, ich glaube, das war neapolitanisch. »Nee, ich bleib mal schön in Altona. Da ist mein Papa vor vierzig Jahren gelandet, da gehör ich hin. Und Wilhelmsburg wäre mir sowieso zu traurig. Da kriegt man ja Depressionen.«
    »Ich hab den Faller getroffen«, sage ich.
    »Wo?«
    »Na, im Tucker-Haus.«
    »Porco Dio, was macht der da?«
    »Schnüffeln«, sage ich. »Die Nichte der Tuckers hat ihn engagiert.«
    »Amy Tucker«, sagt der Calabretta. »Die einzige lebende Verwandte der beiden. Wohnt in Malmö. Die schwedischen Kollegen haben ihr wahrscheinlich gestern Abend gesagt, dass ihr Onkel und ihre Tante gestorben sind. Vielleicht auch erst heute Morgen.«
    »Die hatte es offensichtlich ziemlich eilig, uns jemanden an die Fersen zu heften«, sage ich.
    »Diese jungen Frauen sind heutzutage immer so ungeduldig«, sagt der Calabretta. Er sinniert kurz ein bisschen. Ich glaube, der meinte jetzt gar nicht das junge Fräulein Tucker. Dann wischt er sich über die Augen und sagt: »Ausgerechnet der Faller.«
    »Er ist der Beste«, sage ich und versuche, meinen Husten zu unterdrücken. »Wem gehört eigentlich das Haus? Es geht hier nicht um irgendeine Erbschaftssache, oder?«
    »Nein«, sagt der Calabretta. »Amy Tucker kann sich gerne die zerschossene Blumencouch abholen, aber das Haus ist nicht zu vererben. Es gehört seit ein paar Monaten einer Immobilienfirma, vorher war es nach einem Todesfall ohne Erben eine Weile in städtischer Hand.«
    Ich muss husten. Der Calabretta kuckt mich an, als wolle er mich auf den Schoß nehmen. Er ist und bleibt einfach ein lupenreiner Spaghetti. Fürsorglich, altmodisch und dauerbesorgt. Gott sei Dank weiß er sich zurückzuhalten.
    »Ich wusste gar nicht, dass die Immobilienfirmen jetzt schon anfangen, in Wilhelmsburg alte Häuser zu kaufen. Das lohnt sich doch noch gar nicht richtig, oder? Die kleinen Mieten südlich der Elbe machen doch keinen Investoren heiß.«
    »Sankt Pauli, Altona und die Schanze sind abgegrast«, sagt der Calabretta. »Vielleicht sind die Herrschaften noch ein kleines bisschen früh dran, aber so doof ist das nicht, jetzt schon in Willytown zu kaufen. Die müssen sich doch langsam was Neues suchen zum Millionen scheffeln.«
    »Gibt’s eigentlich irgendeine heiße Spur?«, frage ich.
    »Rote Flora«, sagt der Calabretta.
    »Was?«
    »Das Autonomenzentrum in der Schanze …«
    »Ich weiß, ich weiß«, sage ich. »Aber die bringen doch niemanden um.«
    Die Rote Flora ist im Grunde das pittoreskeste Haus im Hamburger Schanzenviertel. Wahrscheinlich das letzte unrenovierte Gebäude, der letzte milchschaumfreie Raum auf dem ganzen kopfsteingepflasterten Schulterblatt.
    Früher war die Flora mal ein Theater, ein Kino, ein Tanzsaal. Heute ist da nur noch Theater. Ständig wird von allen Seiten gezetert. Wird die Flora verkauft? Wird sie geräumt? Stürzt sie ein? Geht von ihr eine Gefahr für die Demokratie aus? Was, wenn die sich da wieder mit Nazis prügeln? Oder gar mit der Polizei? Werden dann vielleicht sogar Mülltonnen brennen? Und was ist, wenn mir ein Molotowcocktail auf mein Sushi fällt? Die linksautonome Szene hat das Ding 1989 besetzt und sich da ihr Zentrum eingerichtet. Ein richtiges Zentrum. Ein löchriges, bröckelndes Gerät, das stakst aus der picobello Schanzenhäuserreihe wie ein kaputter Zahn und grinst nach gegenüber zur Schanzenpiazza, auf der all diese flach frisierten, oberschicken Leute aus dem Internet sitzen.
    In der Flora setzt irgendwie das Raum-Zeit-Kontinuum aus, da ist gefühlt noch alles genauso wie in den guten alten Randalezeiten der frühen achtziger Jahre. Ständig hängen abgerissene Bettlaken-Transparente von den Wänden runter, mit denen sich an gesellschaftlichen Diskussionen beteiligt wird, von denen die Masse der Bevölkerung überhaupt nicht
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