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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters
Autoren: Sergej Lochthofen
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die Hose abgenommen, passte wie angegossen. Der alte Bock war froh, dass ich ihm die Unterwäsche ließ, so musste er nicht nackig auf die Straße.»
    Die Zuhörer johlten.
    «Aber leider hatte ich Pech. Da lief mir doch dieser Einäugige über den Weg. Unglaublich, die Kanaille traute sich in mein Revier. Da gab’s nur eins: Messer raus. Im Nu war alles von oben bis unten voller Blut. Es lief warm am Bein runter. Eklig. Hab vor Wut gleich noch mal und noch mal zugestochen. Könnt ihr euch das vorstellen? Die neue Hose …»
    Der Mann machte eine Pause und drehte sich um.
    «He, du da, was gaffst du hier rum?»
    Lorenz zuckte zusammen. Sein Plan, so unauffällig wie möglich einen Platz zu finden, ging nicht auf.
    «Unter die Pritsche mit dir, Hundesohn. Und wag ja nicht vorzukommen», knurrte der Urka.
    Die Eisentür im Rücken, konnte Lorenz hoffen, wenigstens den ersten Ansturm zu überstehen. Auch wenn er unterlegen war, ganz ohne Widerstand wollte er sich dem Schicksal nicht fügen.
    Für einen Moment herrschte Stille. Alle Blicke waren auf den Neuen gerichtet. In der Zelle, die vielleicht für vier oder fünf Sträflinge ausgelegt war, mochten fast zwanzig sitzen. Sie standen auf und rückten langsam auf ihn zu. Näher und immer näher. Nach den Wärtern zu rufen hatte keinen Sinn. Die waren lange weg. Er hatte gehört, wie ihre Schritte auf dem Gang immer leiser wurden. Außerdem bezweifelte er, dass sie ihm zu Hilfe kämen. Bis jemand mitkriegte, was hier ablief, wäre es vorbei.
    «Lorenz?!», hörte er plötzlich aus der anderen Ecke der Zelle etwas unentschlossen seinen Namen.
    Die Urki beiseiteschiebend, kam ein Mann auf ihn zu. Er war untersetzt und ging dennoch leicht, ja fast elegant. Die schwarze Haarpracht und der Rauschebart ließen ihn südländisch und sehr vertraut erscheinen.
    Ein bekanntes Gesicht. Hier? Hier in der Zelle? Kein Zweifel, Lorenz kannte den Mann. Er dirigierte das Sinfonieorchester von Engels und stand in dem Ruf, ein begabter Interpret Tschaikowskis zu sein, sogar in Moskau hatte er schon ein, zwei Gastspiele gegeben. Man traf sich im Theater, wechselte ein paar Worte, grüßte die Gattin. Für den Dirigenten war es von Vorteil, den Feuilletonchef der wichtigsten Zeitung am Platze in seinem Bekanntenkreis zu wissen. Die Arbeit als Theaterkritiker gefiel Lorenz, ohnehin versäumte er keine Premiere in der Stadt. So stimmte der Chefredakteur dem Wechsel vom Posten des Redaktionssekretärs ins Kulturressort zu. Seine Kritik der «Nora»-Aufführung, in der Regie von Maxim Vallentin, brachte ihm weit über Engels hinaus Anerkennung.
    Das freute Lorenz, er schrieb Geschichten und Gedichte. Während des Studiums hatte er damit begonnen, unter den Exilliteraten in Moskau galt er bald als Talent. Der Preis, den er für eines seiner Gedichte erhielt und die Ermunterung eines Egon Erwin Kisch, dem er nach einer Vorlesung ein paar Manuskriptseiten in die Hand gedrückt hatte, unbedingt dem Schreiben treu zu bleiben, bestärkten ihn. Er saß nun immer in der ersten Reihe, wenn der Meister der Reportage am Pult zu reden anhob. Und das, obwohl Kischs Vorlesungen die schiere Langeweile verströmten. Wie vielen exzellenten Schreibern fiel dem Naturtalent aus Prag das Referieren vor Publikum schwer. Er quälte sich, stotterte etwas und hoffte mit dem Auditorium, die Stunde möge bald vorüber sein. Wenn die Unruhe im Hörsaal zu groß wurde, holte Kisch die korrigierte Fahne eines neuen Textes hervor und begann zu lesen. Schlagartig wurde es still. Jetzt begriff jeder, warum Kisch Kisch war.
    Friedrich Wolf war da ein ganz anderer Typ. Das wusste Lorenz schon seit ihrer ersten Begegnung im «Lux». Ernst Thälmann hatte zu einem Abend geladen, und Lorenz rutschte in der Gesellschaft eines Freundes hinein. Eine gute Gelegenheit, endlich wieder einmal richtig zu essen, die Verpflegung in der Mensa der Westuniversität war grässlich bis ungenießbar. Natürlich konnte man an solchen Abenden auch wichtigen Leuten begegnen. So wurde Lorenz tatsächlich dem Gastgeber vorgestellt und fiel sogleich unangenehm auf. Er sprach Thälmann nicht mit dem unter deutschen Genossen üblichen «Du», sondern vorsichtshalber mit «Sie» an, was den KPD-Vorsitzenden in Rage versetzte.
    «Wieso Sie? Bin ich dir der Kaiser von China?!»
    Lorenz stotterte eine Entschuldigung, aber da war Thälmann schon weiter. Im Hintergrund stand Wolf und grinste.
    «Mach dir nichts draus, der ist heute nicht gut aufgelegt. Die
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