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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters
Autoren: Sergej Lochthofen
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Dasch hatte als Erster die Fassung wieder. Er setzte sein Glas ab, schaute zu Lorenz und wiederholte:
    «25 Prozent mehr? Das kann nicht Ihr Ernst sein. Das bekommen Sie nie durch. Keinen Pfennig mehr!»
    «Nicht mein Ernst? Aber Sie wissen doch, dass ich Ihre analytischen Kenntnisse sehr schätze. 25 Prozent ist natürlich das, was mir meine Experten aufgeschrieben haben. Es wäre schön, wenn wir uns darauf einigen könnten, doch wir sind ja nicht im Wunschkonzert. Ich weiß, dass auch Sie hart an unserem gemeinsamen Erfolg arbeiten. Natürlich würden wir die Maschinen mit Handkuss in Osteuropa los. Für den Bedarf allein in der Sowjetunion reichen selbst hundert Prozent unserer Kapazitäten nicht aus. Sie würden sich sicher eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen, aber wir wissen, dass der Handel nicht nur ein Geschäft ist. Vor allem hier in der Mitte Europas. Ich höre mir Ihre Vorschläge gern an.»
    Es folgte eine lange Pause.
    «25 Prozent ist völliger Unsinn!»
    «Sie ’aben wohl viel zu viel von diesem ’errlischen Kognak getrunken?»
    «25 Prozent weniger», brummte Benzon über den Tisch, womit er keinen Zweifel aufkommen ließ, auf welcher Seite er stand.
    «Aber meine Herren, wir produzieren doch keinen Schrott. Sie wissen so gut wie ich, dass unsere Rechner, würden sie aus Düsseldorf kommen, das Doppelte kosten müssten. Sie widersprechen mir nicht? Das ist schon mal gut. Es ist deutsche Wertarbeit. Die hat ihren Preis. Und nun lassen Sie uns vernünftig miteinander reden.»
    In dem folgenden Durcheinander konnte man nur eines heraushören: Die am Vorabend geschmiedete Front bröckelte. Benzon gab noch eine ganze Zeit lang den Bockbeinigen, bis er um eine Auszeit bat. Es folgte der Auszug der Vertreter, die sich in einem Nebenraum besprechen wollten. Das wiederholte sich zweimal. Schließlich endete das Treffen unter Vermittlung des Dänen mit einer moderaten Erhöhung von zwölf Prozent, und als sie am Nachmittag den «Thüringer Hof» verließen, hatten die meisten so viel getankt, dass sie sich schnurstracks ins Hotel fahren ließen.
    Benzon hatte richtig kalkuliert. Er war der Einzige, für den die Preiserhöhung nicht galt.

II
    Lorenz öffnete die Augen und fixierte in der Dunkelheit das kaum sichtbare Fensterkreuz. Langsam kam das Zimmer, das sich gerade noch wie ein Karussell gedreht hatte, zum Stehen. Die Wände, der Schrank, der Sessel, alles schien wackelig wie ein Pudding. Vielleicht hätte er doch lieber durch die kühle Nacht bis zu seiner kleinen Wohnung laufen sollen. Die hatte er inzwischen im «Hochhaus» nahe beim Werk bezogen; jeden Tag nach Gotha zu fahren war zunehmend zur Belastung geworden. Das Zusammenleben mit Lena erst recht. An diesem Abend aber war er wieder einmal im Büro geblieben und hatte das Klappbett vor dem Schreibtisch aufgeschlagen. Nun lag er da, der Erschöpfung nahe, und atmete tief. Es war schon der dritte Anfall in einer Woche. Dieser fürchterliche Druck in der Brust.
    Sollte der Schriftsteller recht behalten, er war am Verglühen?
    Sie hatten wieder eines ihrer langen Abendgespräche geführt, über das, was ihn antrieb, was im Leben wichtig sei, ob es Eigensucht oder eine Selbstverständlichkeit wäre, mit seinen Kräften bis an die Grenze zu gehen. Der Mann aus Weimar hatte sich in den Kopf gesetzt, über Lorenz einen Film zu machen. Wolfgang Held war fasziniert von dem Stoff, der sich mitten im Alltag bot: Da opfert sich einer für eine Idee, und nichts kann ihn retten. Ein sozialistischer Held, der zum Schluss am Sozialismus stirbt. Das gab es noch nicht. Sozialistische Helden starben, weil sie von Nazis umgebracht oder weil sie verraten wurden. Aber sie starben nicht, weil ihnen die neuen Verhältnisse selbst keine andere Wahl ließen.
    Lorenz blieb skeptisch. Erstens wollte er noch etwas leben. Jetzt, wo er endlich die Dinge zum Tanzen brachte. Das gestern noch hochverschuldete Werk war binnen eines Jahres zu dem Unternehmen der Republik geworden, das die Richtung vorgab. Zweitens, und das bewegte ihn mindestens genauso, hatte er Angst, in einem billigen Agitpropstreifen, mit unglaubwürdigen Figuren und dümmlichen Dialogen, ins Lächerliche gezogen zu werden. Wolfgang Held selbst machte einen durch und durch ehrlichen Eindruck. Aber Lorenz befürchtete, in diesem Kulturbetrieb kam nie hinten raus, was vorn eingegeben wurde. Doch der Mann ließ nicht locker, so näherten sie sich langsam dem Stoff, von dem Lorenz überzeugt war, wenn
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