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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters
Autoren: Sergej Lochthofen
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Ahnung.»
    «Mielke.»
    «Erich Mielke an deinem Tisch?»
    «Ja, ich war auch erstaunt. Die anderen hängten ihre Gesichter in die Teller und spitzten die Ohren.»
    «Und?»
    «Ich kannte ihn ja noch als Student. Wie man eben einen Dozenten kennt. Er gab bei uns an der Universität in Moskau ‹Chiffrieren und Dechiffrieren› und prahlte damit, dass er, wenn er nur genug Zeit hätte, jeden Code knacken könnte. Da haben wir ihm eine ordentliche Aufgabe verpasst. Einen Buchstabencode, der auf einem zufälligen Zahlensystem basierte. Wochen hielt er uns hin, er habe viel zu tun und sei noch nicht dazu gekommen, sich der Sache zu widmen. Nach zwei Monaten kam er in den Hörsaal und las vor:
    Volllautomatischantimiefelektrischventilierterhydraulikge-stützterscheißhausdeckelsicherheitsverschlusss.
    Dann fragte er, wer den Text abgefasst habe. Mein Freund Erich Weiß, den haben sie dann auch ins Lager gesperrt, hob fröhlich die Hand. Da hat ihn der Mielke zur Sau gemacht: Das Wort selbst sei nicht das Problem gewesen, aber wegen der orthographischen Fehler habe er schwitzen müssen. Wir ließen ihn in dem Glauben, die Fehler seien Zufall, außerdem waren wir davon überzeugt, das hat der nie allein rausgekriegt … Na, jedenfalls, ich löffele meine Suppe, da fängt der Mielke von der Seite an, ohne rüberzuschauen:
    ‹Man sagt, die hätten damals Menschen unschuldig eingesperrt, kann das stimmen?›»
    «Und, was hast du geantwortet?»
    «Erst auf Russisch, das hat er offensichtlich nicht verstanden. Da habe ich es übersetzt. Die Russen hätten da eine Redensart: Man sagt, dass in Moskau selbst die Bären fliegen könnten. Nun, frage ich, du warst ja auch dort? Ich habe keinen gesehen.»
    «Da war er platt, oder?»
    «Zumindest stellte er keine Fragen mehr. Und ich hatte auch keinen Grund, das Gespräch fortzusetzen. Der hatte wohl gedacht, ich stottere irgendetwas herum.»
    «Sie können es einfach nicht lassen. Alle sind verdächtig, jeder kann der Verräter sein. Da hat er sich selbst in die Spur gemacht, um dem neuen Mitglied auf den Zahn zu fühlen.»
    «Russisch haben sie nie gelernt, aber dieses abgrundtiefe Misstrauen haben sie von ihren Freunden in der Lubjanka gern übernommen. Mich wollten die Russen anwerben, ehe ich zurückfuhr. Berichte schreiben, du weißt schon. Ich habe nein gesagt. Und das im ZK nach der Ankunft auch nicht verschwiegen.»
    «Nicht alle hatten den Mut. Leider. Nicht alle. Lässt du die Teufel erst in dein Haus, dann bekommst du sie nie mehr raus. Wie die Kakerlaken. Kaum bist du allein, da kommen sie gekrochen. Was glaubst du, warum die in Moskau immer so gut informiert sind, was hier los ist?»
    Sie schwiegen eine Weile, unten auf dem Hof sah man mehrere Männer palavern, ohne sie zu hören; einer von ihnen hatte mit dem «Tatra» die Ausfahrt zugeparkt. Dann ging Erich zum Radio und drehte es halblaut. Lorenz lächelte.
    «Du bist dir also auch hier in deinem Büro nicht sicher?»
    «Doch, sehr sicher. Genau deshalb.»
    Lorenz war von der Offenheit überrascht. Eigentlich hatten sie, wenn überhaupt, höchstens ein Dutzend Mal miteinander gesprochen. Von Anfang an war zwischen ihnen ein vertrauter Ton. Das war im Apparat selten. Zumal nicht alle den neuen Wirtschaftskurs gut fanden. Ganz ohne Segen des Kremls.
    «Bei mir sitzen die Kakerlaken direkt unterm Dach.»
    «Doch nicht etwa daheim?»
    «Nein, im Werk. Sie haben sich ihr Zimmerchen direkt in der Verwaltung eingerichtet, als gehörten sie dazu. Ganz offen. Und wie ich inzwischen mitbekommen habe, sind sie nicht nur mit ‹Horch und Guck› befasst. Sie verfolgen eigene Ziele, die zum Teil gegen das Werk gerichtet sind.»
    «Du weißt das genau?» Erich schaute Lorenz an, als fürchte er Ansteckungsgefahr.
    «Sehr genau. In Sömmerda sind ja alle miteinander verwandt oder verschwägert. Meine Leute haben einem von denen bei der Wohnungssuche geholfen, da konnte ich einiges lesen, zum Dank gewissermaßen. Die Haare standen mir zu Berge. Sie tun alles, damit die erste Elektronik nicht aus Sömmerda, sondern aus Karl-Marx-Stadt kommt. Man könnte es fast Sabotage nennen. Meine besten Ingenieure werden bespitzelt. Harmlose Urlaubspost wird fotokopiert, die Adressen ausgespäht. Unsere Maschinen werden madig gemacht. Sie wollten sogar einen Panzerschrank mit einem Erreger präparieren, um nachzuweisen, dass wir Sicherheitslücken haben und sie deshalb eingreifen müssen.»
    «Sag ich doch: Tarakany. Kakerlaken. Lass dich davon
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