Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters
Autoren: Sergej Lochthofen
Vom Netzwerk:
der Autor erst die ganze Geschichte kannte, würde er Abstand nehmen. Das Lager in Workuta war kein Ruhmesfeld für sozialistische Helden.
    Der Schriftsteller blieb zäh. Er konnte die DEFA überzeugen, obwohl die Bedenkenträger schon obsiegt hatten und das Projekt beerdigt war. Ein Gespräch beim Kulturminister, einem Klaus Gysi, brachte den Durchbruch. Der fand die Idee mit dem tragischen Helden «endlich mal was anderes». Kaum war die eine Hürde genommen, folgte ein widerliches Gezerre um den Dramaturgen, Walter Janka. Der hatte auch seine Erfahrungen als «Ehemaliger». Zwei davon, dachte Lorenz, das lassen die nie durchgehen. Er hatte keine Zeit, sich weiter damit zu befassen. Schließlich hörte er, die Sache nahm wieder Fahrt auf. Einen Titel gab es auch schon: «Zeit zu leben». Das klang nach Remarque und gefiel ihm schon allein deshalb. Doch überzeugt, richtig überzeugt, war Lorenz immer noch nicht. Dass aus dem Lager in der Arktis im Film «Buchenwald» wurde, das zu verdauen, fiel ihm besonders schwer. Da hieß es, ein Film sei schließlich Kunst und Kunst könne sich nicht an alle Zufälligkeiten des Lebens halten.
    So einfach ist das also, dachte er, so einfach macht ihr euch das.
    Der Autor kannte sich in den DEFA-Gepflogenheiten gut aus. Geschickt baute er ein paar Szenen ein, so einen langen Monolog über die Freiheit, die dann erwartungsgemäß der Schere zum Opfer fielen. Dafür konnte anderes bleiben. Einige Episoden wurden in Sömmerda gedreht und kamen der Wirklichkeit ziemlich nahe. Die Nähe zur Realität war nicht ungefährlich und konnte ein solches Projekt schnell zum Scheitern bringen. Der Alltag in einer Kleinstadt oder einem volkseigenen Betrieb sah um einiges anders aus, als es in der «Aktuellen Kamera» des DDR-Fernsehens über den Bildschirm lief. Die Läden schienen nicht leer, und doch gab es vieles nicht. Und alles, was es nicht gab, konnte man am Abend im Westfernsehen sehen. Leg das Geld hin und nimm mit. Soviel du willst.
    Lorenz wusste das alles. Es reichte nicht, das Werktor dicht zu machen; die Frauen gingen in der Arbeitszeit einkaufen, nicht weil es ihnen langweilig war, sondern weil sie sich um die Familie kümmern mussten. Nichts von dem, was täglich fehlte, konnte er beschaffen. Schließlich funktionierte es hier nicht wie im hohen Norden, wo er mit reparierten Glühlampen den Mangel beheben und die Leute begeistern konnte. Etwas ratlos hatte er den obersten Handelschef des Kreises eingeladen. Ganz harmlos, «zum Kennenlernen». Der war erfreut. Im Grunde bestand ja fast der gesamte Kreis aus dem Werk, und das Werk war der Kreis. Als der Mann am späten Abend leicht schwankend die Hauptverwaltung verließ, waren sie sich einig. Ab sofort, wenn etwas Besonderes geliefert wurde, rief man im Werk an, dann konnten die HO-Mitarbeiter ihre Wägelchen durch die Hallen rollen, und die Frauen kauften direkt neben der Maschine eine Tüte Tomaten oder grüne Gurken. Das war weit weg vom Ideal, aber um vieles besser als ein Ausflug zum Einkaufen mitten in der Arbeitszeit.
    Den Innungsmeister der Friseure konnte er natürlich nicht einfach mit dem Kamm ins Werk beordern. Der stand eines Tages in der Tür seines Arbeitszimmers und plusterte sich auf: Ruinieren würde man ihn und seine Kollegen, sofort müsse der schwachsinnige «Ukas» gestrichen werden. Der Mann hatte ein paar Jahre in einem Gefangenenlager am Dnepr zugebracht und kannte russische Gepflogenheiten. Lorenz wartete, bis der Dampf den Meister verlassen hatte. Nach einer Stunde wurde aus dem ruppigen Wortwechsel eine entspannte Unterhaltung. Einige Wochen später öffneten die Friseursalons abends drei Stunden länger. Das ließen zwar die Gesetze in der DDR nicht zu, aber Lorenz war sich sicher, eine Sondergenehmigung, wenn nicht in Erfurt, dann in Berlin zu bekommen.
     
    Nun war Wolfgang Held erleichtert und bestürzt zugleich. Erleichtert, weil das Projekt doch auf die Leinwand kam. Bestürzt, weil seine Prophezeiung Schritt für Schritt in Erfüllung ging:
    «Glaube mir, wenn du in dem Tempo weitermachst, dann gehst du vor die Hunde.»
    «Und, bin ich der Erste? Oder sollte ich etwa der Letzte sein?» Lorenz reagierte gereizt, er mochte solche Anteilnahme nicht.
    «Nein, bist du nicht. Aber es gibt zu wenige wie dich. Du weißt, wie das Büromaschinenwerk aussah, ehe du kamst, und glaubst du nicht, dass es nicht wieder dort landen könnte?»
    «Das ist sicher ein Argument. Jemand, der das Gewicht nicht stemmen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher