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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters
Autoren: Sergej Lochthofen
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auskennen, haben wir gar nicht.»
    «Dann holen wir sie von den Hochschulen, aus dem Hörsaal. Und wenn ich selbst hinfahren muss. Also, alles, was Sie benötigen. Legen Sie mir morgen eine Liste auf den Tisch.»
    Verwundert schwiegen die Männer. Keiner von ihnen war dreißig. Keiner hatte bisher unter solchen Bedingungen gearbeitet.
    «Und am Monatsende kommt wieder einer und schreit, der Plan brennt. Dann muss die gesamte Forschung ab in die Produktion!»
    «Das ist vorbei. Wenn einer was will, schicken Sie ihn zu mir.»
    «Ihr Wort in Gottes Ohr!»
    «Was ist mit den Bauteilen? Wenn hier noch keiner einen solchen Automaten gebaut hat, gibt es da überhaupt die nötigen Transistoren? Kann man sie aus der Sowjetunion bekommen?»
    «Die Russen? Die können Sie vergessen. Die sind stolz darauf, dass sie die größten Transistoren der Welt bauen.»
    Der ganze Tisch lachte.
    «Das meiste gibt es hier nicht. Und dort, wo es das gibt, da dürfen sie nicht liefern. Embargo. Am besten wäre Japan. Und selbst wenn sie liefern würden, bis alle Anträge in Berlin abgestimmt sind, geht gut ein halbes Jahr drauf. Am Außenhandelsmonopol kommt keiner vorbei. Also vergessen Sie es.»
    «Ich sage es ein letztes Mal: Lassen Sie das meine Sorge sein. Was ich brauche, ist eine genaue Aufstellung der Teile. Kann man die in Westdeutschland kaufen?»
    «Bestimmt.»
    «Und in Frankreich? Oder Dänemark?»
    «Mit Sicherheit auch.»
    «Dann findet sich schon ein Weg. Ich garantiere die pünktliche Lieferung. Sie garantieren mir, dass wir zur Herbstmesse einen elektronischen Automaten präsentieren.»
    Plötzlich schwieg alles am Tisch. Auch wenn es unwirklich klang, irgendwie konnte man sich dem Augenblick nicht entziehen. Das war sie, die Chance, auf die eine junge Mannschaft von Ingenieuren seit Jahren wartete. Endlich schien sich etwas zu bewegen. Ein Horizont tat sich auf. Ihr Schwärmen für Halbleiter wurde erhört. Oder wenigstens verstanden. Natürlich waren drei Monate eine Illusion. Aber deshalb nicht zupacken? Die ausgestreckte Hand ausschlagen? Das würden sie sich im Leben nicht verzeihen.
    Auch Lorenz war in Gedanken versunken. Keine zwei Wochen her, da hatte er einen sehr angenehmen Abend mit dem französischen Generalvertreter im «Erfurter Hof». Monsieur Chauvin trank gerne, sie verstanden sich. Vor allem freute es den Franzosen, wenn er seinen westdeutschen Konkurrenten eins auswischen konnte.
    «’err Locht’ofen, wenn isch Ihnen ’elfen kann, sagen Sie es mir. Isch stehe bereit. Isch ’abe gehört, die ’erren aus Düsseldorf machen Ihnen Ärger wegen dem Namen ‹Rheinmetall›? Isch besitze die Namensrechte für Frankreich. Lassen Sie uns denen eins auf die Nase geben. Nein? Schade.»
    Sie sprachen noch lange darüber, ob «Supermetall» oder «Sömtron» in Frankreich besser klingen würde. Doch das war jetzt zweitrangig. Lorenz überlegte, wie man die japanischen Transistoren über die Grenzen bringen konnte: Zwei Kisten mit Maschinen für Chauvin hin, zwei Kisten mit Transistoren, getarnt als «Reparaturgeräte», zurück. So konnte es gehen. Alles in Paris verplombt. Weder der westdeutsche noch der ostdeutsche Zoll würde reinschauen. Viel zu viel Aufwand. Er schmunzelte. Wer schlimmer war, wenn die Sache aufflog, die Nato oder der DDR-Außenhandel, wollte man sich nicht ausmalen. In jedem Fall wäre das Geschrei groß. Doch warum sollte etwas schiefgehen? Und wenn der Fakturierautomat erst einmal lief, dann wollten alle bei den Siegern sein, die VVB in Erfurt, die Bezirksleitung und selbstverständlich das Berliner Ministerium.
    Lorenz sah sich um, die «weiße Wolke» schwieg.
    «Glauben Sie mir, Sie wissen noch gar nicht, was Sie alles können. Und wenn wir damit Erfolg haben wollen, müssen wir schnell sein. Zeit ist nicht Geld. Zeit kann man nicht kaufen. Schlafen Sie eine Nacht drüber, aber dann muss klar sein, ob sie das Unmögliche wagen. Ich für meinen Teil bin bereit.»
    Er stand auf, gab jedem die Hand und ging. Doch nach zwei Schritten drehte er sich noch mal um:
    «Haben Sie keine Angst: Die Sieger werden nicht erschossen.»

Das Jahr 1963:

    Lorenz Lochthofen während eines Gesprächs im Büromaschinenwerk.

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