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Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters

Titel: Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters
Autoren: Sergej Lochthofen
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tief Luft. Zurück in der Gewindeschneiderei, fragten die Frauen neugierig:
    «Und, wie war’s?»
    «Wie isser?»
    «Stimmt das, was erzählt wird?»
    «Wenn ich euch das erzähle, ihr glaubt es sowieso nicht. Ich würde es ja auch nicht glauben.»
    Beschwingt marschierte Rosmarie am Montag in die Kaderabteilung, in der Gewissheit, nun könne ihr nichts mehr passieren. Sie hatte sich getäuscht. Das Gesicht des Kaderleiters verhieß nichts Gutes. Wegen dieser Frau, einer «politisch Unzuverlässigen», hatte ihn der Werkleiter vor aller Welt gedemütigt. Aber die Rache war sein. Er forderte Rosmarie auf, ihm zu folgen. Am Ende ihres Weges wusste sie, gegen die kommst du doch nicht an.
    Ihr neuer Arbeitsplatz lag im Meisterhaus. In der unteren Etage befand sich der Musterbau, darüber die Materialwirtschaft. Dort gab es eine Abteilung, die nur aus einem Raum bestand, darin standen eng beieinander Tische mit Schreibmaschinen, auf denen täglich Tausende und Abertausende Arbeitsbegleitkarten getippt werden mussten. Auch das hatte nichts mit ihrer Qualifikation zu tun. Dennoch, formal entsprach die Arbeit den Anforderungen des Werkleiters. In Wirklichkeit war die neue Arbeit so stupid wie die alte. Der Kaderchef lächelte.
    Da saß sie nun. Die Abteilungsleiterin spannte mehrere Bögen Papier ein, und los ging’s. Der Anschlag musste hart sein, damit auch der sechste Durchschlag noch lesbar war. Die Hoffnung, die sie nach dem Gespräch im Kabinett des Werkleiters trug, war verdorrt.
    Die ungeliebte Arbeit kannte nur eine Abwechslung: Am Ende des Tages mussten die Karten auf die Bereiche verteilt werden. Sie übernahm die Botengänge gern. Einer führte ins Verwaltungsgebäude. Und so stand sie plötzlich wieder vor dem Werkleiter.
    «Das ist ja eine Überraschung! Wie geht es Ihnen? Wie ist die neue Arbeit? Was macht der Kleine?»
    Rosmarie druckste. Sie wollte ihn nicht schon wieder mit ihren Sorgen belästigen, aber auch nicht lügen. Das Gesicht des Werkleiters verfinsterte sich:
    «Das glaube ich nicht.»
    Dass der Kaderleiter die junge Frau schlecht behandelte, war schlimm genug. Dass er aber offen gegen die Anweisung des Chefs verstoßen hatte, das ging auf keinen Fall. Vom ersten Tag an, als er seinen Fuß in das Werk setzte, bemühte sich Lorenz, einen verlässlichen Kern von Mitarbeitern aufzubauen. Sonst war seine Mission zum Scheitern verurteilt. Allein konnte auch er das Werk nicht am Laufen halten. So holte er sich nach und nach Fritz als Parteisekretär, einen neuen Hauptbuchhalter, den Gewerkschaftsboss. Die meisten kamen aus Gotha, von denen wusste er, dass sie ihm nicht in den Rücken fielen. Nun war es nötig, einen neuen Kaderchef zu finden. Jemand, der offensichtlich im Dienste anderer stand – er konnte sich denken, wer das war –, durfte nicht auf diesem Platz bleiben.
    «Wissen Sie was, Sie gehen jetzt zu Ihrer Chefin und sagen ihr einen schönen Gruß von mir und dass heute der letzte Tag war, den Sie dort verbracht haben.»
    Er überlegte einen Augenblick.
    «Morgen ist Freitag, Sie melden sich gleich früh in der Verwaltung, nicht in der Kaderabteilung! Dort sehen Sie sich um, was die so machen und welche Arbeit Ihnen gefallen könnte. Wenn jemand fragt, verweisen Sie auf mich oder schicken ihn gleich zu mir. Ich sage es Ihnen klar und deutlich: Sie suchen sich eine Arbeit aus, die zu Ihnen passt, egal, was andere sagen. Laufen Sie durch die Abteilungen, setzen Sie sich an den Tisch, probieren Sie die Sache aus, sprechen Sie mit den Verantwortlichen.»
    Rosmarie schaute den Mann entgeistert an. Eigentlich hatte sie mit nichts gerechnet. Nun wuchs sich das Ganze zu einer Riesensache aus. Aufgeregt stolperte sie am nächsten Morgen in die Verwaltung. Sie hatte keine Ahnung, wie das gehen sollte, sich einen Arbeitsplatz auszusuchen. Im Vorzimmer des Produktionsdirektors merkte sie schnell, es war vorgesorgt. Eine Frau schlug ihr vor, gemeinsam auf die Suche zu gehen.
    «Sie sagen, dass Sie gut mit Zahlen umgehen können. Das passt. Ich glaube, da haben wir was für Sie. In der Planungsabteilung.»
    Die Frau machte eine Pause, schaute Rosmarie fröhlich an:
    «Wissen Sie, was mir daran am besten gefällt? Nein? Es ist der Hochsicherheitstrakt. Höchste Geheimhaltungsstufe. Dort laufen die Zahlen aus dem gesamten Werk zusammen. Sie sind dann eine von wenigen, die genau weiß, was hier tatsächlich gespielt wird. Da wird sich der Kaderchef freuen, wenn er erfährt, dass Sie hier arbeiten.»
    Sie
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