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Schwarzer Schmetterling

Schwarzer Schmetterling

Titel: Schwarzer Schmetterling
Autoren: Bernard Minier
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zum unteren Kraftwerk. Er gehörte dem Direktor. Dann verschwand auch der Kleinbus aus seinem Blickfeld, verschluckt von den Wolkenbändern, als würde eine Postkutsche von einer Indianerhorde eingeholt.
    Jedes Mal, wenn er da hinauffuhr, hatte er das Gefühl, ein Stück grundlegende Wahrheit über sein Leben zu begreifen. In Worte aber hätte er sie nicht fassen können.
    Huysmans blickte zum Gipfel hinauf.
    Die Bergstation der Kabinenseilbahn – ein Metallgerüst, das an dem betonierten Vorbau vor dem Zugangsschacht verankert war – kam näher. Sobald die Kabine stand, würden die Männer über eine Reihe schmaler Stege und Treppen zu dem Betonbunker gehen.
    Der Wind brauste. Draußen dürfte es um die minus zehn Grad haben.
    Huysmans kniff die Augen zusammen.
    Etwas an der Silhouette des Gerüsts wirkte merkwürdig.
    Als ob dort etwas
zu viel
wäre …
    Wie ein Schatten zwischen den Querstreben und Eisenträgern, über die heftige Windstöße hinwegfegten.
    Ein Adler, dachte er, ein Adler hat sich in den Seilen und Rollen verfangen.
    Nein, Unsinn! Aber genau das war es: ein großer Vogel mit ausgebreiteten Schwingen. Ein Geier vielleicht, der in den Aufbauten hängen geblieben war, nicht mehr aus dem Gewirr von Gittern und Stangen herausgefunden hatte.
    »He, schaut mal da!«
    Joachims Stimme. Auch er hatte die merkwürdige Gestalt entdeckt. Die anderen wandten sich zu der Plattform um.
    »Mein Gott, was ist das denn?«
    Das ist jedenfalls kein Vogel,
dachte Huysmans.
    Eine diffuse Beklemmung stieg in ihm auf. Dieses »Etwas« hing über der Plattform, direkt unter den Seilen und Rollen – als schwebte es in der Luft. Es glich einem riesigen schwarzen Schmetterling, einem düsteren, unheilbringenden Schmetterling, der sich scharf gegen den weißen Hintergrund aus Schnee und Wolken abhob.
    »Verdammt noch mal, was soll das denn sein?«
    Die Kabine wurde langsamer. Sie erreichten ihr Ziel. Die Gestalt wurde größer.
    »Heilige Muttergottes!«
    Es war weder ein Schmetterling noch ein Vogel.
    Die Kabine hielt an, die Türen glitten automatisch auf.
    Eine eisige Bö klatschte ihnen Schneeflocken ins Gesicht. Aber niemand stieg aus. Sie blieben stehen und betrachteten dieses Werk des Wahns und des Todes. Ein Anblick, den sie gewiss nie vergessen würden.
    Der Wind heulte um die Plattform herum. Huysmans hörte jetzt keine Kinderschreie mehr, sondern das furchtbare Heulen von Gefolterten, das vom Brüllen des Windes übertönt wurde. Sie wichen einen Schritt ins Innere der Kabine zurück.
    Die Angst traf sie mit der Wucht eines fahrenden Schnellzugs. Huysmans stürzte zum Funkhelm und setzte ihn auf.
    KRAFTWERK ? HIER HUYSMANS ! VERSTÄNDIGEN SIE DIE GENDARMERIE ! SOFORT ! SAGEN SIE IHNEN , SIE SOLLEN SICH BEEILEN ! HIER IST EINE LEICHE ! DA WAR IRGENDEIN IRRER AM WERK !

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    TEIL EINS
Der Mann, der die Pferde liebte
    1
    D ie Pyrenäen. In dem Moment, als Diane Berg die Kuppe des Hügels erreichte, sah sie den hoch aufragenden Gebirgszug vor sich.
    Eine noch recht weit entfernte weiße Barriere, die sich über den gesamten Horizont hinzog: Wie Wogen brachen sich an diesen mächtigen Felsspornen die davorliegenden Hügel. Ein Raubvogel zog am Himmel seine Kreise.
    Der 10 . Dezember, neun Uhr morgens.
    Wenn man der Straßenkarte auf dem Armaturenbrett Glauben schenken konnte, dann müsste sie die nächste Ausfahrt nehmen und Richtung Süden, nach Spanien, fahren. Ihr uralter Lancia hatte weder ein Navi noch einen Bordcomputer. Sie sah ein Schild über der Autobahn: »Ausfahrt Nr.  17 , Montréjeau/Spanien, 1000  m«.
    Diane hatte die Nacht in Toulouse verbracht. Ein preiswertes Hotel, ein winziges Zimmer mit einer Nasszelle aus Plastik und einem kleinen Fernseher. In der Nacht war sie durch mehrere Schreie geweckt worden. Mit klopfendem Herzen hatte sie sich ans Kopfende des Bettes gesetzt und die Ohren gespitzt – aber im Hotel war es mucksmäuschenstill geblieben, und sie hatte schon geglaubt, sie hätte geträumt, bis die Schreie von neuem begannen, noch lauter diesmal. Übelkeit überkam sie, bis ihr schließlich klarwurde, dass sich unter ihrem Fenster die Kater balgten. Danach hatte sie nicht mehr richtig einschlafen können. Noch am Vortag war sie in Genf gewesen und hatte ihren Abschied mit Kollegen und Freunden begossen. Sie hatte die Einrichtung ihres Wohnheimzimmers an der Universität betrachtet und sich gefragt, wie wohl das nächste aussehen würde.
    Als sie auf dem Parkplatz des Hotels
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