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Schwarzer Rauch

Schwarzer Rauch

Titel: Schwarzer Rauch
Autoren: Stefanie Hasse
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betrachte, desto sicherer bin ich mir, dass er immer weiter abnimmt.
    »Victoria.« Als Alex plötzlich neben mir steht, fährt mir ein Schreck durch die Glieder. Ich habe ihn nicht kommen hören.
    Er zieht mich zu sich, legt seinen Arm um meine Taille und küsst mich zärtlich auf die Stirn. Mich durchfährt eine Welle der Beruhigung und Geborgenheit, die ich bis in die Fingerspitzen fühlen kann.
    In der nächsten Sekunde beginne ich heftig zu keuchen und nach Luft zu ringen. Ich habe das starke Gefühl, erdrückt zu werden. Mein Blut pulsiert durch meine Venen, folgt dem rhythmischen Pochen meines Herzens. Dazu gesellt sich eine ungeheure Energie, die droht, meinen Körper von innen zu zersprengen.
    All das geschieht innerhalb eines Wimpernschlages. Ich spüre immer noch Alex‘ Atem auf meiner Stirn. Ich weiche ein Stück von ihm zurück, um ihm in die Augen sehen zu können. Doch er ist wie erstarrt. Er sieht aus, als hätte man ihn mitten in seiner letzten Bewegung eingefroren. Ich blicke mich irritiert um, kann aber nichts Ungewöhnliches entdecken.
    Da ist die große immergrüne Thuja-Hecke, die aus unserem kleinen Garten ein abgeschiedenes Plätzchen macht. Dann mein Lieblingsplatz: der kleine Teich, in dem sich ein roter Vollmond spiegelt. Es scheint, als wolle er die Wasserbewegung ausnutzen, um zu mir zu gelangen.
    Der Mond?
    Sofort wandert mein Blick zum Himmel hinauf und nimmt sehnsüchtig den wolkenlosen, von Sternen übersäten Nachthimmel wahr. Inmitten dieser glitzernden Pracht, wie auf Diamanten gebettet, liegt ein unnatürlich großer, blutroter Vollmond, dessen Umrisse flackern, als würde ein Feuer in ihm lodern. Es wirkt unwirklich und faszinierend zugleich und zieht mich mit seiner seltsamen Magie in seinen Bann. Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren. Ich fühle mich wie in der Unendlichkeit.
    Plötzlich zuckt das Licht des Mondes stärker. Die Erschütterungen greifen auf mich über, als hätte ich einen dieser Weidezäune berührt, die unter Strom stehen. Und tatsächlich fühle ich, wie etwas meine Adern durchströmt. Etwas Starkes, Mächtiges erwacht in mir, wild und ungezähmt.
    Mit ihm kommen die Bilder, als würde ich dem Tod ins Auge blicken und mein Leben an mir vorbeiziehen. Die Flut an Skizzen aus meinem Leben wird langsamer und langsamer. Wie beim Betrachten eines Kreisels, der aus Mangel an Energie seinen Schwung verliert, und dessen Muster nicht mehr zu Linien verschwimmt, erhasche ich immer mehr Einzelbilder.
    Ich sehe ein Mädchen, eine junge Frau. Dasselbe Gesicht, das mir jeden Morgen im Spiegel begegnet, nur frisch und unverbraucht.
    Ich sehe mein junges Ich und ein längst vergessen geglaubtes Leben: meine Jugend.

Der erste Kontakt
     
    Ich war 18 Jahre alt und ganz allein unterwegs. Die Schatten der Nacht schienen mich zu verfolgen, während ich eine schmale Gasse entlangging, die von kleinen Geschäften gesäumt war. Sie alle waren bereits geschlossen und verriegelt, als wären schwere Stürme angesagt worden. Ohne Licht wirkte hier alles fahl und alt, beinahe wie aus einer anderen Zeit. Unwillkürlich schlich sich das Bild eines alten Schwarz-Weiß-Films in meine Gedanken. Ich konnte mich beim besten Willen nicht daran erinnern, jemals zuvor hier gewesen zu sein.
    Scheinbar wusste ich aber genau, wo ich hinzugehen hatte. Zielstrebig hastete ich die Gasse entlang und kurz bevor sich diese am Ende gabelte, bog ich rechts in eine Hofeinfahrt und gelangte durch ein verrostetes altes Tor in einen Innenhof.
    Es schien mir, als wäre ich in eine andere Welt eingetreten. Der Hof war nicht annähernd so klein, wie man es in dieser schmalen Gasse von außen vermutet hätte. Er war nahezu quadratisch und herrlich angelegt. Die Symmetrie des gesamten Gartens stach mir sofort ins Auge. Die Wege waren in konzentrischen Kreisen um den Mittelpunkt des Ganzen angelegt. Zu beiden Seiten der Wege wuchs eine zierliche Buchsbaumhecke, die akkurat beschnitten war und ihre strenge Linie nur für kurze Verbindungspfade unterbrach. Alles lief darauf hinaus, den Mittelpunkt harmonisch hervorzuheben und ihn gleichzeitig einzurahmen.
    Beim Blick auf das Zentrum des Innenhofes stockte mir der Atem. Dort lag, umrahmt von diesem Labyrinth aus Hecken und Wegen, der vollkommenste Mond, den ich je gesehen hatte. Ein exaktes Abbild aus weißem Marmor, dessen eingeschlossene Metalladern im matten Licht schimmerten und den Eindruck eines Funkelns entstehen ließen. Wie von selbst schaute ich zum Himmel,
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