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Schwarzer Purpur

Schwarzer Purpur

Titel: Schwarzer Purpur
Autoren: Susanne Wahl
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noch einmal zu sehen.« Tante Hildes Stimme spiegelte ihre unterschwellige Empörung wider.
    Mich wunderte ihre offensichtliche Ignoranz. Es war Mutters Art gewesen, einmal getroffene Entscheidungen nicht zu revidieren. Für »sentimentalen Quatsch« hatte sie nicht viel übrig gehabt. Wenn sie entschieden hatte, alle alten Verbindungen zu kappen, hatte sie es sicher als endgültig betrachtet.
    Und damit stellte sich die Frage, wieso Tante Hilde und ich uns überhaupt hatten kennen lernen können. »Wie hast du von Mutters Tod erfahren?«
    »Dieser Rechtsanwalt hat mir geschrieben. Wie hieß er noch – Weidenmann oder so ähnlich? Der, bei dem deine Mutter ihr Testament hinterlegt hat. Scheinbar hat sie verfügt, dass ich von ihrem Tod zu informieren bin.«
    Die Sache wurde immer verwirrender. Hatte Mutter doch Gewissensbisse bekommen? Wollte sie mich nicht ganz allein auf mich gestellt zurücklassen? Es wäre eine tröstliche Vorstellung, zu glauben, dass sie diese Verfügung aus einem Gefühl der Fürsorge und Zuneigung für mich heraus getroffen hätte.
    Auf einmal musste ich gegen meinen Willen gähnen. Die emotionale Aufregung forderte ihren Tribut. Ich wollte nur noch in mein Bett, die Decke über den Kopf ziehen und alles hinter mir lassen.
    Tante Hilde strich mir verständnisvoll über die Haare: »Geh zu Bett, Kind. Du siehst total erschöpft aus. Ich finde mich schon zurecht.«
    In den folgenden Stunden träumte ich die bizarrsten Träume, die mich jemals heimgesucht hatten. Meine Mutter, die ich niemals hatte laut werden hören, schrie so laut und anhaltend, dass ich mir die Ohren zuhalten musste und es trotzdem noch schmerzhaft schrill an mein Trommelfell brandete. Ein kleiner Hund mit dem Kopf meines Vaters knabberte übermütig an ihren Pantoffeln, und sie trat ihn weg, so dass er in weitem Bogen davonflog. Aber bevor er aufschlug, verwandelte er sich in einen Vogel, der sich in die Höhe schraubte, bis er nicht mehr zu sehen war. Meine Mutter schrie immer noch, den Kopf in den Nacken gelegt. Ich konnte ihre Wut, ihre Enttäuschung und ihren Zorn fühlen, als seien es meine eigenen Gefühle, und sie machten mir Angst. Um sie herum war Leere. Nichts existierte darin als dieser Zorn, schwarz und erstickend.
    Und dann sah ich mich. Ich versuchte, zu meiner Mutter zu gelangen, aber die dunklen Schwaden reichten mir bereits bis zum Hals, umhüllten mich, versuchten mich zu verschlingen. In panischer Angst schrie ich auf und erwachte – schweißnass, aber sicher in meinem Bett.
    Es war noch früh. Die Straßenlaternen brannten hell, nur gedämpft durch den morgendlichen Nebel. Normalerweise hätte ich jetzt aufstehen müssen, aber ich hatte noch zwei Tage Sonderurlaub wegen »Todes eines Angehörigen ersten Grades«.
    Mein nass geschwitzter Pyjama klebt unangenehm an der Haut. Ich konnte genauso gut aufstehen und nach meinen Pflanzen sehen, die ich die letzten Tage vernachlässigt hatte. Im Bad stand wie ein Fremdkörper Tante Hildes Kulturbeutel. Ihm entströmte leichter Kampfergeruch, der Duft von Lavendel und Rosencreme. Ihre Zahnbürste hatte sie in ein Glas aus dem Küchenschrank gestellt. Irgendwie war ich ihr dankbar, dass sie Mutters goldgeränderten Porzellanbecher unberührt gelassen hatte. Ich hatte ihn bereitgestellt für die Zeit, wenn sie wieder aus dem Krankenhaus entlassen würde. Dieses Mal aber war sie nicht wieder nach Hause gekommen wie so oft zuvor.
    Ich fröstelte. Die Heizung lief noch auf Nachtbetrieb. Mutter hatte es unnötig gefunden, sie nach meinen Zeiten zu programmieren. »Du bist so schnell angezogen, da ist es absolute Geldverschwendung, für die Viertelstunde die Heizung laufen zu lassen«, war stets ihre Meinung gewesen. In einer Anwandlung von Trotz überlegte ich, das heiße Wasser laufen zu lassen, entschied mich dann aber dagegen.
    Im Gewächshaus brannte noch die Röhre mit dem ultravioletten Licht und tauchte die Pflanzen in gespenstische Nuancen. Ich sah auf die Uhr; jeden Moment würde die Zeitschaltuhr die Tageslichtröhre einschalten. In dem düsteren Zwielicht schimmerten die weißen wachsartigen Blüten, als leuchteten sie aus sich heraus. Eigentlich zog ich das kräftige Rosa der Cattleyen vor, aber die Phalaenopsis blühten reicher und zeigten sich überhaupt so wuchsfreudig, dass Weiß inzwischen zur vorherrschenden Farbe geworden war.
    Die feuchte Wärme hatte sich auf den Fensterscheiben niedergeschlagen und sie mit einem Film überzogen, der meine Welt
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